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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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gesagt. Jeden Tag konnten »Beauftragte« erscheinen, die auch sie verschleppten.
    So war »die Rechtslage«, hatten die Beauftragten gesagt.
    Bill Krause starrte den buschbewachsenen Hang hinauf. Was sollte er Joe King sagen, wenn dieser mit Hanska zurückkehrte? Er hoffte auf die Rückkehr Joes, der seine drei verbliebenen Kinder beschützen würde, und er fürchtete sich davor, Joe sagen zu müssen, daß Harry und Mary weggeführt worden waren und Bill Krause dazu geschwiegen hatte.
    Oft glaubte er seitdem, von der fernen Straße her das Geräusch des Wagens zu hören, der Joe und Hanska zurückbrachte. Doch bis jetzt hatte er sich immer getäuscht.
    Joe King würde seine Kinder Harry und Mary zurückholen. Er war der Mann, der sich auch gegen den Superintendent durchsetzen konnte.
    Krause nahm beide Hände vor das Gesicht. O Gott, warum hast du das alles zugelassen? Muß das sein? Ich bin alt geworden. Meine Frau ist gestorben. Mein Sohn ist gefallen. Muß ich noch einmal mitansehen, wie Menschen sich morden? Es ist wahr, die Indianer sind im Recht. Aber müssen sie darum kämpfen? Wenn ein kleiner Mann sich den Mächtigen fügt, lebt er ungeschorener. Aber sage das einer Joe Inya-he-yukan King! Seine Zynikerfalten würden sich nur tiefer legen, und er würde sich abwenden von Bill Krause, den er für einen Spießer hielt, wenn er auch freund mit ihm war und seine Schußwaffen bei ihm reparieren ließ. Joe King hatte keine Macht, doch ein kleiner Mann war er nicht, würde er auch niemals werden. Eher sterben. Da lag der Haken.
    Der Märzabend ging zur Nacht über. Die Sterne blinkten auf. Die Mondsichel leuchtete. Der buschbewachsene Hang wurde finster – schwarz; er lag im Mondschatten. Der Wind strich über die Büsche, und hoch oben am Berg rauschte er in den Wipfeln der Tannen. Verlassen lagen die Straße, die am Berg hinaufführte, und der kleine Seitenweg zu Krauses Haus.
    Bill Krause erhob sich und ging mit seinem Sohn zusammen in die Werkstatt neben seinem Haus. Er brachte die Petroleumlampe zum Brennen und besah sich wieder einmal die Gewehre, die er wie kostbare Museumsstücke aufbewahrte. Sie hingen gut plaziert an der Wand, und er erzählte seinem Sohn unerschöpfliche Geschichten davon. Eines sollte in der Schlacht am Little Bighorn gebraucht worden sein, als die verbündeten Stämme der Dakota und der Cheyenne General Custers Truppe vernichteten und ihn selbst töteten. Fast ein Jahrhundert war das her, aber die Indianer feierten jetzt noch jedes Jahr drei Nächte lang ihren Sieg, so wie die amerikanische Armee noch jedes Jahr eine Parade zu Ehren General Custers abhielt. Von den Häuptlingen, die die Indianer in der Schlacht angeführt und sie überlebt hatten, war nach dem Friedensschluß kaum ein einziger eines natürlichen Todes gestorben. An Leuten, die eine Schlacht gewonnen, aber den Krieg verloren hatten, wußte man sich zu rächen. Bill Krause seufzte und lauschte wieder einmal, ob nicht doch noch ein Wagen kam, ein Wagen, der Joe Inya-he-yukan zurückbrachte. Als es totenstill blieb, legten er und sein Adoptivsohn sich zu Bett. Ein geladenes Gewehr lag quer in den Haken über der Tür. Ein zweites hatten Krause und sein Sohn an der Lagerstatt, auf der sie miteinander schliefen, zur Hand. Es war das Gastbett, das Joe Inya-he-yukan und Queenie King bei ihren Besuchen bei dem Büchsenmacher stets benutzt hatten. Krause mußte lange daran denken und sank erst um Mitternacht in einen traumgequälten Schlaf, nur um bald wieder aufzuwachen. »Beauftragte« zwar hatte er des Nachts nicht zu erwarten; ihre Dienststunden waren des Tags von 9 a.m. bis 9 p.m. anberaumt. Aber die Killer zogen für ihr Handwerk die Nacht vor. Krause wohnte einsam und fürchtete sich. Seit 40 Jahren wohnte er hier, und zum erstenmal fürchtete er sich. Was für Unmenschen waren es, die eine gute junge Mutter ermordet hatten. Die Frau des verhaßten Joe Inya-he-yukan. Eine Indianerin. Krause war ein Weißer. Aber wer konnte sich heute noch sicher fühlen, wenn er die kindlichen Zeugen des Mordes beherbergte? Ein Säugling, das jüngste Kind, war nicht bei Queenie im Wagen gewesen, sondern schon tags zuvor zu Joes kinderreicher Schwester gebracht worden, die in einer der Slum-Hütten in dem nahen New City wohnte. Ob Krause alle Kinder dorthin bringen sollte? Es gab bei Margret aber keinen Platz mehr.
    Bill Krause wälzte sich hin und her. Er lauschte wieder. Nichts war da, nichts als die unheimlich gewordene Stille, die
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