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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Felsenhalle.
    »Hier wird er ruhen«, sprach Hanska, als er sein Lied geendet hatte.
    Sie legten den Toten im Schmuck der Adlerfedern, die ihm gebührten, in seinem Festrock, auf dem Himmel und Erde abgezeichnet waren, mit seiner Waffe, die viele geschützt hatte, eingeschlagen in die Büffelhaut, zu der Großen Bärin. Verborgenheit, Finsternis, die unerklärliche Natur dieser Felsenhalle würden ihn im Tode beschützen, wie sie die Bärin hundert Jahre vor Verwesung und vor dem Frevel der Feinde beschützt hatten und weiter beschützen würden.
    Hanska schlug die Büffelhaut ein letztes Mal auf. Er selbst, Ite-ska-wih und Ray legten nacheinander die Hand voll Ehrfurcht auf das Antlitz des Toten; sie spürten seine Stirn, seine Augen, seine eingefallenen Wangen, seinen Mund; sie sahen ihn nicht mehr, sie würden ihn nicht mehr sprechen hören, aber in ihnen selbst lebte er weiter. Joe Inya-he-yukan Stonehorn konnte niemals sterben.
    Er und die Große Bärin ruhten beieinander, und nicht einmal die Fäulnis konnte den Häuptling benagen.
    Sie schrien laut miteinander vor Gram und vor Gewißheit des Lebens. Hier im Berg konnten sie schreien und jauchzen. Kein Feind hörte sie. Keiner konnte sie bedrohen. Hanska nahm Ite-ska-wih in seine Arme, wie ein Mann tat, der eine Frau liebte und sie beschützen wollte. Er hatte keine Decke, die er um das Mädchen schlagen konnte, wie es Sitte war. Seine Arme waren ihre Decke. Ein seliger Schrecken lief durch ihren jungen mageren, erschöpften Körper: Hanska liebte sie.
     
    Der alte Mann, der den Namen Bill Krause trug und dessen Haarboden wie ein Stoppelfeld wirkte, saß auf der Bank vor seinem einsamen Haus und schaute über den weiß gestrichenen Zaun seines Gärtchens hinweg den buschbewachsenen Hang hinauf. Es war seine Gewohnheit, des Abends hier zu sitzen; er hatte sich auch daran gewöhnt, daß sein Adoptivsohn, der Indianerjunge aus den Slums von New City, in dieser stillen und behaglichen Stunde bei ihm saß und sich aus der Heimat von Willi Krause erzählen ließ. Vor Jahren waren es die Märchen von Zwergen und Riesen gewesen, die der kleine Bub hören wollte, und die beiden hatten den Gartenzwerg in Krauses Gärtchen angesprochen, um selbst weiter auszuspinnen, was ein Zwerg in alten Zeiten alles erlebt haben könne. Unterdessen war der Junge ein siebzehnjähriger Bursche geworden und erzählte seinem Vater Krause aus der Geschichte der Indianer, über die er bei der Familie King mehr erfuhr als in der Schule.
    Aber an diesem Abend war den beiden nicht nach Erzählen zumute. Es hatte sie viel Mühe gekostet, die King-Kinder, die bei ihnen geblieben waren, in den Schlaf zu singen, so liebevoll wie eine Mutter. Endlich waren sie eingeschlummert, der Vierjährige, die Sechsjährige und der Achtjährige.
    Bill Krause aber und sein Adoptivsohn dachten an Joe Inya-he-yukan Stonehorn King, der mit seinem Wahlsohn Hanska eine große Reise unternommen hatte, um mehr Freunde und Verbündete für den Kampf zu gewinnen, der in diesen Tagen begonnen hatte. Einige junge Männer und Mädchen von anderen Reservationen und von Indian Centers der Städte waren schon gekommen. Joe Inya-he-yukan und Hanska, hieß es, waren weiter nach Chicago unterwegs.
    Wären sie nur daheim geblieben!
    Die Mutter, Queenie Tashina King, war ermordet und an einem unbekannten Ort verscharrt worden. Das hatte Joe Inya-he-yukan noch erlebt. Fünf ihrer Kinder, die Queenie mit im Wagen gehabt hatte, um sie nach Kanada in Sicherheit zu bringen, waren nach dem Tode der Mutter zu Fuß zu Krause geflüchtet. Die Zwillinge Harry und Mary, zehn Jahre alt, hatten Ziel und Weg gewußt.
    Bill Krause konnte die Stunde, in der die Kinder bei ihm ankamen, nicht aus seinem Denken und Fühlen hinausschieben, nicht im Wachen und nicht im Schlafen. Sie war immer da. Mit ihr verband sich jetzt diese zweite Stunde, als die Beauftragten des Superintendent der Reservation die Zwillinge Harry und Mary King von Bill Krause wegholten, um sie, wie sie sagten, in geeignete Internate für Indianerkinder zu bringen, und zwar getrennt. Diese Kinder müßten völlig neu erzogen, umerzogen und überhaupt in Sicherheit gebracht werden.
    Der alte Krause hatte beim Abschied geweint. Die beiden Kinder hatten nicht geweint. Ihre Mienen waren erschreckend starr gewesen, als sie sich abführen ließen wie Gefangene in Feindeshand.
    Die drei jüngeren waren bei Krause geblieben. »Vorläufig – bis auf weiteres…«, hatten die Beauftragten
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