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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters
Autoren: Paul Harding
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den Füßen und blies sich auf die
behandschuhten Hände in dem vergeblichen Versuch, sie zu
wärmen. »Halte die Fackel höher!« blaffte er
den Ratsschreiber an. Cranston starrte die Männer an, die ihn
umstanden, dunkle Gestalten im trüben Licht, und blickte dann
hinauf zu dem verrammelten Fenster des düsteren, trostlosen
Hauses. Den giftigsten Blick hob er sich auf für Luke
Venables, den Ratsherrn des Bezirks, der ihn aus seinem warmen Bett
geholt hatte. Sir John schätzte seinen Schlaf zu jeder Zeit,
aber nach einer anstrengenden Woche ganz besonders. Vor zwei Tagen
war er in die Kirche von St. Stephen in Walbrook gegangen, um dort
den Leichnam eines William Clarke zu beschauen, der in den
Glockenturm geklettert war, um nach Taubennestern zu suchen. Der
Idiot war von Balken zu Balken gestiegen, schließlich
abgerutscht, heruntergefallen und auf der Stelle tot gewesen.
Cranston war zu dem Urteil gekommen, daß der Balken schuld
sei, und hatte dem erbosten Pfarrer eine Buße von vier Pence
auferlegt. Gestern hatte er nach West Chepe gemußt, um die
Leiche eines William Pannar zu beschauen, eines Gerbers, der in der
Nähe der Wasserleitung gefunden worden war. Pannar war so dumm
gewesen, wegen irgendeiner Krankheit zu einem Arzt zu gehen.
Natürlich hatte der ihn zur Ader gelassen, und zwar so heftig,
daß der arme Hund auf dem Heimweg zusammengebrochen und auf
der Stelle gestorben war. Cranston biß sich auf die
Unterlippe und hämmerte von neuem gegen die Tür. Aber es
war nicht bloß seine Arbeit, die ihm Sorgen machte. Da war
noch etwas anderes: Seine geliebte Frau Maude war nicht ehrlich zu
ihm, und Cranston vermutete, daß sie ein furchtbares
Geheimnis hatte. Sir John war vernarrt in seine Frau und konnte den
Freuden des Schlafgemachs nie widerstehen; aber in letzter Zeit -
so auch in der vergangenen Nacht - hatte er sich wohlig an sie
geschmiegt und war in seinen Avancen abgewiesen worden. Leise
weinend hatte sie im Dunkeln protestiert, wollte ihm aber keinen
Grund dafür sagen und sich auch nicht trösten lassen. Und
jetzt hatte ihn dieser Idiot Venables in aller Herrgottsfrühe
in die Kälte gehetzt, um sich gewaltsam Zutritt in dieses
geheimnisvolle Haus zu verschaffen. Cranston hämmerte von
neuem an die Tür, aber nichts rührte sich; nur die
gedämpften Flüche und stampfenden Füße seiner
Begleiter waren zu hören.
    »So.«
Cranston wandte sich an den Ratsherrn. »Erzählt mir noch
mal, was das Problem ist.«
    Venables kannte Sir
John und schaute ihm ängstlich in das schnauzbärtige,
rote Gesicht mit den eisblauen Augen und der gefurchten Stirn unter
dem großen, wollenen Hut. Sir John war ein guter Mann, dachte
Yenables, aber wenn ihm der Kragen platzte, dann konnte er sich in
einen leibhaftigen Teufel verwandeln. Venables deutete auf das
abgebrochene Schenkenschild über der Tür.
    »Die Sache ist
die, Sir John: Der Hausherr heißt Simon de Wyxford. Dies ist
seine Schenke. Er hatte keine Familie, nur einen Diener namens
Roger Droxford. Vor acht Tagen bekamen Herr und Diener einen
heftigen Streit, der sich über den ganzen Tag hinzog. Am
sechsten Dezember öffnete Roger, der Diener, wie immer die
Schenke, stellte die Bänke heraus und verkaufte Wein, aber von
Simon keine Spur. Am nächsten Tag fragten die Nachbarn Roger
nach seinem Herrn. Er behauptete, Simon sei nach Westminster
gegangen, um Schulden einzutreiben.« Venables blies die
Backen auf und wandte sich an eine der schattenhaften Gestalten
neben ihm.
    »Erzähl du
Sir John den Rest.«
    »Vor vier
Tagen…«, begann der Mann, ein kleiner Kerl, in weite
Mäntel gehüllt. Cranston sah nur ein paar
schüchterne Augen und eine tropfende Nase über einem
Schal.
    »Lauter!«
befahl er. »Und nehmt den Schal vom Mund.«
    »Vor vier
Tagen«, fuhr der Mann fort und gehorchte Sir John
bereitwillig, »ist Roger von hier fort. Er trug ein
Bündel auf dem Rücken. Wir dachten, er wollte
flüchten, aber er ging zu einem Nachbarn, zu Hammo, dem Koch,
und sagte, er wollte Simon, seinen Herrn, suchen gehen. Dann
gab er Hammo den Schlüssel, falls de Wyxford plötzlich
zurückkehrte. Gestern abend« - er räusperte sich -
»kam Francis Boggett, ein Schankwirt, um eine Schuld zu
kassieren, die Master Simon bei ihm hatte.«
    »Weiter!
Weiter!« unterbrach Cranston.
    »Boggett ging
ins Haus«, schaltete der Ratsherr sich geschmeidig ein,
»und fand keine Spur, weder von Simon noch von seinem Diener.
Da nahm er sich drei Faß Wein zum Ausgleich für
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