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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters
Autoren: Paul Harding
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Prolog
    Juni 1362
    Der Tag hatte
heiß begonnen, und mittags hing die Hitze wie eine Decke
über der dreimastigen Karake aus dem zyprischen Famagusta.
Schlaff hingen die Segel, und Pech und Teer schmolzen zwischen
verschimmelten Planken. An Bord suchten die Passagiere - Pilger,
Händler, Reisende und Kesselflicker - Schatten, wo immer sie
ihn fanden. Manche zählten die Perlen an ihrem Rosenkranz,
andere schützten die rotgeränderten Augen vor der Sonne
und suchten den Himmel nach winzigen Vorboten des Windes ab. Die
Decks der Saint Mark waren glühend heiß; selbst die
Besatzung war vor dem grellen Glast geflüchtet. Der Ausguck
döste hoch oben in den Rahen. Ein silberner Christophorus, der
über seinem Kopf an den Mast genagelt war, fing das
Sonnenlicht ein und warf es zurück wie ein Gebet um Schatten
und starken, kühlenden Wind.
    Unter dem Ausguck
döste ein Ritter in weißem Leinenhemd und
schweißfleckiger Hose. Seine ledernen Stiefel bewegten sich
rastlos. Der Ritter wischte sich den Schweiß von der Stirn
und kratzte sich den schwarzen Bart, der sein Gesicht halb
verdeckte. Ein Junge, der im Schatten der Reling Schutz gesucht
hatte, betrachtete mit großen, staunenden Augen das
Rüstzeug, das sich neben ihm türmte: Kettenhemd,
Handschuhe, Brustpanzer und Halsberge. Aber was die Aufmerksamkeit
des Jungen fesselte, war der weiße Kattunüberwurf, der
mit einem ungefügen, riesigen roten Kreuz bemalt war. Der
Junge spähte zum Ritter hinüber, während seine
Hände sich verstohlen dem drahtumflochtenen Griff des
mächtigen zweischneidigen Schwertes näherten.
    »Faß es
ruhig an, Knabe«, sagte der Ritter leise, und weiße
Zähne blitzten in seinem sonnenverbrannten Gesicht. »Nur
los, faß es an, wenn du willst.«
    Der Junge tat es und
strahlte.
    »Willst du
Ritter werden, Knabe?«
    »Ja, Herr, ein
Kreuzritter. Aber ich bin Waise«, antwortete der Junge
ernst.
    Der Ritter grinste,
aber sein Gesicht wurde ernst, als er zum Achterdeck schaute. Der
Steuermann hatte den Kapitän gerufen, und beide starrten nun
auf das Meer hinaus. Der Kapitän schien sich Sorgen zu machen.
Er nahm den großen, breitkrempigen Hut ab, stampfte auf das
Deck, und der Ritter hörte seine gemurmelten Flüche.
Über ihnen schrie der Ausguck plötzlich: »Ich sehe
Schiffe ohne Segel, und sie kommen schnell näher!« Sein
Ausruf erweckte das Schiff zum Leben. Schiffe ohne Segel, die
über das Meer heranjagten - das konnte nur ein maurischer
Korsar sein. Die Menschen an Deck waren aufgestört, Kinder
weinten, Männer und Frauen riefen durcheinander. Harte Sohlen
trappelten auf den Leitern, Soldaten und Matrosen hasteten an ihre
Plätze. Der Chor der Seufzer wurde immer lauter. »Keine
Segel!« rief ein Soldat. »Dann müssen es Galeeren
sein!« Das Geschrei verstummte, und Todesangst vertrieb den
Verdruß über die sengend heiße Sonne. Der Tag
würde zu Ende gehen, die Dunkelheit würde kommen und die
Luft kühler werden. Aber die grünbeflaggten Galeeren der
Korsaren mit ihren schnittigen Rudern würden nicht
verschwinden. Sie umstreiften die griechischen Inseln wie
wütende Wölfe, und wenn sie angriffen, gab es kein
Entkommen. Genuesische Armbrustschützen kamen an Deck, die
Köpfe mit weißwollenen Tüchern umwickelt.
Große Armbrüste hüpften auf ihren Rücken, und
Jungen mit Köchern voll widerhakiger Bolzen folgten
ihnen.
    »Eine
Galeere!« rief der Ausguck. »Nein, zwei! Nein, vier!
Kurs Nordnordost.«
    Matrosen, Passagiere
und Soldaten stürzten an die Reling, so daß das Schiff
wie ein Habicht hinabtauchte.
    »Zurück auf
eure Posten!« Der braungebrannte Kapitän kletterte
hastig die Leiter vom Achterdeck herunter. »Bootsmann!«
rief er. »Die Waffen herausgeben! Armbrustschützen aufs
Achterdeck!«
    Wieder erhob sich
eiliges Getrappel; ringsum an Deck wurden schnell große Eimer
mit Meerwasser neben Tonnen mit hartem grauen Sand aufgestellt.
Matrosen und Soldaten überschütteten die ängstlichen
Passagiere mit Flüchen und schickten sie hinunter in die
faulig stinkende Finsternis unter Deck.
    Der Ritter richtete
sich auf, als der Kapitän auf ihn zukam.
»Galeeren«, sagte der Seemann leise. »Der Herr
sei uns gnädig - und so viele!« Er blickte in den blauen
Himmel. »Wir können ihnen nicht entkommen. Eine
würde vielleicht nicht angreifen, aber
vier…«
    »Wirst du
kämpfen?« fragte der Ritter.
    Der Kapitän
spreizte die Hände. »Vielleicht greifen sie nicht
an«, meinte er verzweifelt. »Oder sie verlangen
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