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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters
Autoren: Paul Harding
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Armknochen
entlanghuschte, der unter dem roh gezeichneten Bild eines
dreimastigen Schiffes an der Wand lehnte.
    Der
Meuchelmörder, der sich hinter der gefrorenen Brustwehr auf
dem großen Glockenturm versteckte, wußte nichts von
solch geheimen Orten, obwohl ihm klar war, daß der Tower
viele Geheimnisse barg. Er zog den Mantel fester um
sich.
    »Die Zeit ist
gekommen«, murmelte er, die Bibel zitierend, vor sich hin,
»da alles, was im Dunkeln verborgen ist, im hellen Licht des
Tages offenbar werden soll. «Er blinzelte zum Himmel.
»Blut kann nur gerächt werden«, raunte er,
»indem Blut vergossen wird.«
    Ja, dieser Gedanke
gefiel ihm: Gerechtigkeit und Tod gingen Hand in Hand. Er
spähte hinüber zum dunklen Gebirge der Kapelle von St.
Peter ad Vincula. Sicher würde Gott das verstehen. Hatte er
nicht Kain gebrandmarkt, weil er Abel erschlagen hatte? Warum
sollten Mörder ungestraft davonkommen? Der beißende Wind störte
ihn nicht und auch nicht die stetig fallenden Schneeflocken oder
das einsame geisterhafte Kreischen der Nachtvögel unten am
eisigen Fluß.
    »Es gibt Dinge,
die sind kälter als der Wind«, flüsterte er und
wandte sich nach innen, meditierte über seine eigene,
trostlose Seele und die große, offene Wunde, die dort
schwärte. Bald käme Weihnachten und dann das Fest der
Unschuldigen Kinder. Eine Zeit voll Unschuld und Wärme, wo
gutes Essen langsam am Drehspieß briet. Grüne Zweige
würden die Zimmer schmücken; Mummenschanz würde es
geben und Gelage, Spiele, heiße Kuchen und Glühwein. Der
Attentäter lächelte. Und wie an jedem Weihnachtsfest
würden die Mörder sich hier im Tower versammeln. Sanft
wiegte er sich. Der Prozeß würde beginnen; die Warnungen
waren schon bereit. Er streckte die Hände zum Nachthimmel
empor.
    »Das Blut soll
fließen«, flüsterte er. »Der Mord soll meine
Waffe sein.«
    Er bemerkte das Kreuz
von St. Peter ad Vincula. »Gott soll mein Richter
sein«, endete er und schob die Hände unter den Mantel.
Seine Augen starrten hinaus in die schwarze Nacht. Im Gedenken an
die Vergangenheit wiegte er sich sachte und sang leise ein Lied,
das nur er verstand. Jetzt war ihm warm. Im Blute seiner Opfer
würde er die Wunden seiner Seele baden.

1. Kapitel
    Bruder Athelstan stand
auf dem Turm der Kirche von St. Erconwald in Southwark und starrte
in den Himmel. Er nagte an seiner Lippe und fluchte leise. Er hatte
gehofft, daß die Wolkendecke aufreißen werde, und
für eine Weile war es auch geschehen. Die Sterne hatten
gefunkelt wie Juwelen auf einem schwarzen Samtkissen. Athelstan
hatte die Sternbilder studieren wollen, da die längste Nacht
des Jahres nahte; er hatte sehen wollen, ob der Verfasser
von Equatorie of the
Planets recht hatte. Aber wie einen
undurchsichtigen Schleier hatte der Wind die Schneewolken wieder
über den Himmel gezogen.
    Der Ordensbruder
stampfte in seinen Sandalen auf und blies sich die frierenden
Finger. Dann raffte er Tintenhorn, Feder, Astrolabium und
Pergamentrolle zusammen, hob die Falltür und stieg vorsichtig
die Treppe hinunter. In der Kirche war es eiskalt und finster. Mit
etwas Zunder entfachte er die Kienspäne vor der Statue Unserer
Lieben Frau, die Fackeln im Kirchenschiff und die dicken,
weißen Bienenwachskerzen auf dem Altar. Athelstan ging die
Altarstufen hinunter und unter dem neugeschnitzten Chorgitter
hindurch, das Huddle gerade mit einem Tableau bemalt hatte:
Christus führte die Seelen aus dem Fegefeuer. Athelstan
bewunderte die kraftvollen grünen, roten, blauen und goldenen
Pinselstriche des Malers.
    »Der junge Mann
ist ein Genie«, brummte er und trat zurück, um die
Figuren genauer zu betrachten. Er wünschte bloß, Huddle
wäre ein bißchen zurückhaltender in der Darstellung
einer jungen Lady gewesen, deren runde, strotzende Brüste die
Hure Cecily als ihre eigenen erkannt hatte.
    »Na, dann
laß mal sehen!« hatte Tab, der Kesselflicker, gerufen,
bevor Ursula, die Schweinebäuerin, ihm einen spitzen Ellbogen
in die Rippen gestoßen hatte.
    Athelstan
schüttelte den Kopf und ging hinüber, um sich die
Hände über dem kleinen Holzkohlenbecken zu wärmen,
das mit seiner Glut die eiskalte Nachtluft ein wenig linderte. Er
blickte auf das Kirchenschiff und sah die immergrünen Zweige
von Stechpalmen und Efeu, die die Frau von Watkin, dem Mistsammler,
um die dicken Pfeiler gewunden hatte. Athelstan war zufrieden. Das
Dach war geflickt, die Fenster mit Horn verglast. »Jetzt
sieht’s schon eher wie eine Kirche aus«,
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