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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters
Autoren: Paul Harding
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zu
entkommen; die Janitscharen verfolgten sie, und das Blut
strömte wie Wasser über die verpichten Planken des
Schiffes. Aber die eigentliche Schlacht wurde am Mast ausgefochten,
dort, wo der Ritter stand, die Beine leicht gespreizt, die
Füße fest am Boden. Sein großes Schwert
durchschnitt die Luft wie eine Sense, bis das Blut knöcheltief
stand und neue Angreifer ausglitten und wegrutschten, wenn sie sich
mordlustig auf ihn stürzen wollten. Der Junge feuerte ihn
schreiend an; aber kein Mensch konnte solcher Macht auf ewig
widerstehen. Nach einer Weile erstarb die Schlacht, und die
Galeeren zogen ab, das Achterschiff voll beladen mit Raubgut und
Gefangenen. Flammen leckten am Holzwerk der Saint Mark, sacht trieb
sie in einer zunehmenden Brise dahin und wurde schließlich zu
einem lodernden Scheiterhaufen. Als die Nacht kam, war das Schiff
gesunken. Hier und dort dümpelte noch eine Leiche auf dem
Wasser; sonst gab es keine Spur mehr von dem großen Morden,
das hier gewütet hatte.
    *
    Dezember
1377
    Ein mörderisch
kalter Wind trieb den Schnee durch London, und die Eis und
Hagelböen waren scharf wie Dolche. Erst waren es nur wenige
weiße Flocken gewesen, aber jetzt fielen sie dick und schwer
wie Gottes Gnade vom Himmel und bedeckten die Wunden dieser
düsteren Stadt. Die Chronisten in den Klöstern am Rande
von London kauerten in eiskalten Kammern, versuchten, sich die
Finger zu wärmen, und schrieben, daß dieses schreckliche
Wetter Gottes Strafe für die Stadt
sei.        
    Strafe Gottes oder
nicht, der Schnee fiel unaufhörlich und legte sich wie ein
Teppich auf die stinkenden Straßen und die Kotberge der
Müllkippen an der Themse, wo die Flußpiraten an den
niedrigen Galgen baumelten und schwarz und hart wurden,
während der Fluß gefror. Im wüstkalten Dezember
schlich der Frost sich wie ein Meuchelmörder in die Stadt, um
die Bettler in ihren Lumpen umzubringen. Die Leprakranken, die
draußen vor Smithfield in ihrem Dreck kauerten, schrien und
stöhnten, als der Frost in ihre offenen Wunden biß.
Alte, verlotterte, rötelgeschminkte Huren fand man mit
frostfleckigen Gesichtem, kalt und tot, an der Ecke der Cock Lane.
Die Straßen waren ausgestorben; nicht einmal die Ratten
konnten auf Beutezug gehen, denn die großen Müllhaufen
und die offenen Rinnsteine in der Mitte der Straße - sonst
voll und glitschig von menschlichem Auswurf - waren steinhart
gefroren.
    Schneestürme
verhüllten den Himmel und machten die Nächte so finster
wie die Hölle. Keine gottesfürchtige Seele ging mehr vor
die Tür - besonders in Petty Wales und East Smithfield, der
Gegend um den großen Tower, dessen schneebedeckte
Türmchen trotzig in den schwarzen Nachthimmel ragten. Die
Wachposten auf den vereisten Zinnen der Festung gaben ihre Wache
auf und verkrochen sich hinter den Mauern. Auch am Gittertor stand
kein Wächter, denn Schlösser und Ketten waren eisenhart
gefroren: Wer hätte sie öffnen können?
    Allerdings mied man
den Tower auch an linden Sommertagen. Alte Vetteln tuschelten, der
Bau sei Teufelswerk, und die schwarzen Raben, die um die grimmigen
Türme flatterten, seien Scharen von Teufeln auf der Suche nach
menschlichen Seelen. Mit Menschenblut, behaupteten die Weiber, sei
der Mörtel der Mauern gemischt, und unter den Felsfundamenten
ruhten die Skelette der Menschenopfer, ermordet vom großen
Caesar, als er die erste Festung hier erbaut hatte. Die wenigen,
die lesen konnten, taten solche Geschichten als Unsinn ab: Der
Tower mit seinem großen weißen
Bergfried war von William dem Eroberer gebaut worden, um London
einzuschüchtem, und sie lachten über Geschichten, die
Kindern angst machen sollten. Trotzdem hatten die alten Vetteln
recht: Der Tower hatte seine makabren Geheimnisse. Unter einer
seiner Mauern lagen kalte, grün verschleimte Gänge; alte
und rußgeschwärzte Fackeln hingen kraftlos in ihren
Haltern, die an den Wänden verrosteten. Seit Jahren war
niemand mehr unten gewesen; nicht einmal die Soldaten kamen in
dieses geheimnisumwobene Tunnelgewirr. Drei Verliese gab es hier,
aber nur zwei Türen, und in der mittleren Zelle, einem
viereckigen schwarzen Loch, lag ein zerfallendes Skelett. Keine
Spur war mehr davon, wie es einst ausgesehen hatte, als Fleisch die
Knochen noch umgab und das Blut wie heißer Wein durch Herz
und Hirn geströmt war. Das Skelett vergilbte langsam; eine
Ratte wieselte durch den Brustkorb und nagte erfolglos in den
leeren Augenhöhlen herum, bevor sie am
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