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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters
Autoren: Paul Harding
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brummte er,
»und nicht mehr wie ein langer dunkler Tunnel mit
Löchern in den Wänden.« Bald wäre die
Adventszeit vorüber. Das Grün sollte den neugeborenen
Christus begrüßen. »Immergrün«,
murmelte der Bruder, »für unseren immergrünen
Herrn.« Ein kleiner Schatten strich durch den dunklen Gang
herauf.
    »Du weißt
immer, wann der Zeitpunkt günstig ist,
Bonaventura.«
    Der große Kater
tappte herüber, blieb vor Athelstan stehen, streckte sich und
rieb sich dann bettelnd an der schwarzen Kutte des Bruders.
Athelstan schaute zu ihm hinunter.
    »Hier
gibt’s keine Mäuse«, sagte er leise. »Gott
sei Dank.«
    Nie würde er
vergessen, wie Ranulf, der Rattenfänger, heimlich Fallen in
der Binsenstreu auf dem Fußboden versteckt hatte, und Cecily
eines Morgens, als sie hier saubergemacht hatte, mit der Zehe
hineingeraten war. Athelstan war seit dreißig Jahren auf der
Welt und auch Soldat gewesen, aber noch nie hatte er derart saftige
Flüche gehört, wie sie sich da aus Cecilys hübschem
Munde ergossen hatten.
    Der Bruder bückte
sich und hob den Kater auf. Er betrachtete das runde,
schwarzweiße Gesicht und die zerfransten Ohren.
»Bonaventura, der große Mauser«, murmelte er.
»Bist du gekommen, um dir deinen Lohn zu holen?«
Athelstan ging in einen der dunklen Transepte und nahm
eine Schale mit gefrorener Milch und kleingeschnittenen Sprotten
vom Fenstersims. »Wessen Leben ist lohnender,
Bonaventura?« fragte er, während er sich hinhockte, um
das Tier zu füttern. »Das eines Katers in Southwark oder
das eines Dominikanermönchs, der die Sterne liebt und im
Schlamm rackem muß?«
    Der Kater blinzelte
ihn an, ließ sich nieder und fraß. Mit einem Auge
blickte er wachsam zum Fuß einer Säule, denn dort, wo
die Binsen etwas dichter aufgeschüttet waren, raschelte es
leise. Athelstan kehrte zur Altartreppe zurück, kniete nieder,
bekreuzigte sich und begann mit dem ersten Gebet des
Gottesdienstes. »Veni, veni, Emmanuel!« Komm, oh, komm,
Emmanuel.
    Wann würde
Christus wohl wiederkommen? fragte Athelstan sich. Um Wunden zu
heilen und Gerechtigkeit zu üben… Nein. Er schloß
die Augen. Er hatte sich geschworen, nicht an Cranston zu denken -
nicht an das fette, rote Gesicht und den kahlen Schädel, nicht
an die boshaften blauen Augen und den mächtigen Wanst, der
einen ganzen Weinberg trockensaufen konnte. Die alte Geschichte vom
Teufel fiel ihm ein, der all die halbherzigen Gebete der Priester
sammelte und jedes fehlende Wort in einem Sack aufhob, den er dann
beim Jüngsten Gericht ausschütteln würde. Athelstan
schloß die Augen und atmete tief. Er beendete seine Psalmen
und ging in die kleine, eiskalte Sakristei. »Heute keine
purpurnen Gewänder«, sagte er sich und klappte das
große Meßbuch auf. »Heute ist das Fest der
heiligen Lucia.« Er schloß den verschrammten Schrank
auf und nahm das goldüberzogene, mit einem scharlachroten
Kreuz bestickte Meßgewand heraus. Im Gegensatz zu dem
muffigen Schrank war das Meßgewand neu und duftete zart.
Bewundernd betrachtete er die Handarbeit und dachte an die
Künstlerin, die Witwe Benedicta. »So schön wie
sie«, murmelte er. »Vergib mir, vergib«, bat er
flüsternd und sprach dann die Gebete, die jeder Priester beim
Ankleiden zur heiligen Messe sprechen
muß.        
    Athelstan kannte sich.
Er kannte die dunklen Schatten in seiner Seele, die sich zu erheben
und seine morgendliche Routine zu stören drohten. Er durfte
nicht an sie denken. Das kleine Sakristeifenster klapperte, als der
Fensterladen dagegen schlug. Athelstan schrak auf. Noch lag
Dunkelheit über dem Friedhof, dem Gottesacker mit seinen
zerbrochenen Holzkreuzen, die Erdhügel bewachten, unter denen
die Vorfahren der braven Leute seiner Gemeinde den ewigen Schlaf
schliefen und auf Christi Wiederkunft warteten. Aber Athelstan
wußte, daß da draußen noch etwas anderes lauerte,
etwas Dunkles, Böses, das die schreckliche Blasphemie beging,
Tote aus der Erde zu zerren.
    Der Bruder
schüttelte seine morbiden Tagträume ab. Er öffnete
die Kassette und nahm Kelch und Patene heraus. Er legte weiße
Hostien auf den Teller und füllte den Kelch zur Hälfte
mit Meßwein. Dann hob er den Weinkrug in die Höhe und
beäugte mißtrauisch den Inhalt.
    »Es sieht so
aus«, verkündete er in die leere Dunkelheit, »als
unternähme unser Sakristan, Watkin, der Mistsammler, hier
kleine Weinproben.« Er füllte die Wasserschüssel
für das Lavabo, jenen Teil der Messe, wo der Priester seine
Sünden
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