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Das Grauen in den Bergen

Das Grauen in den Bergen

Titel: Das Grauen in den Bergen
Autoren: Fred Ink
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herablächelte.
    Wie Vanderbilts Büro eingerichtet war, werde ich nicht verraten. Und in welcher Stadt das Gebäude stand, wirst du ebenfalls nicht erfahren, Magdalene. Ich möchte dich nicht in die Lage versetzen, meine Spuren zurückverfolgen zu können. Du könntest sonst auf die Idee kommen, etwas sehr Törichtes zu tun und mich suchen. Falls du glaubst, in Vanderbilts Namen einen brauchbaren Hinweis gefunden zu haben, lass dir gesagt sein: Es handelt sich nicht um den wahren Namen dieses Mannes. Vielmehr ist er frei erfunden, wie sämtliche Namen innerhalb meines Berichts. Bemühe dich also nicht, Liebste!
    Nachdem ich in einem Ledersessel vor Vanderbilts Schreibtisch Platz genommen hatte, faltete der Mann die dürren Hände vor der Brust und legte sein spitzes Kinn darauf ab. Er musterte mich einige Sekunden lang, bevor er verkündete: »Mr. Usher, kein Zweifel. Die Ähnlichkeit ist nicht zu übersehen.«
    »Bitte? Wie meinen Sie das?«
    Vanderbilt lehnte sich zurück, entfaltete beide Zeigefinger und legte ihre Spitzen aneinander. Sein Anzug raschelte, als er an dem spindeldürren, trockenen Körper entlangglitt. »Ich spreche von Familienangehörigkeit, Mr. Usher. Körperbauliche Merkmale, vererbte Parallelen.«
    »Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, aber ich habe keine Blutsverwandten. Ich war ein Waisenkind und habe bislang keine Kinder gezeugt. Und wenn meine Frau mit mir verwandt wäre, wüsste ich das sicherlich.«
    Falls ich gehofft hatte, mit der letzten Bemerkung eine amüsierte Reaktion zu provozieren, wurde ich enttäuscht. Vanderbilts Stimme klang rau und hohl, als er antwortete: »Das ist es, was sie bislang dachten, Mr. Usher. Aber was wäre, wenn ich Ihnen sagte …« Eine seiner Spinnenhände zog eine Schublade des Schreibtisches auf, fasste hinein und förderte einen versiegelten Umschlag zutage. »… dass bis vor wenigen Tagen tatsächlich ein Blutsverwandter von Ihnen existiert hat? Und dass Sie der alleinige Erbe seiner gesamten Besitztümer sind?«
    »Und wer soll das sein? Denken Sie wirklich, ich wüsste nichts davon, wenn ich irgendwo dort draußen einen Onkel, Neffen oder Großcousin hätte?«
    Du weißt ja, dass ich viele Jahre meines Lebens darauf verwandt habe, meine Herkunft zu ergründen, Magdalene. Daher wirst du den Schock nachvollziehen können, den Vanderbilts nächste Worte mir versetzten.
    »Ich spreche nicht von einem Onkel oder Großcousin. Bei dem Verstorbenen handelt es sich um Ihren Vater.«
    Es dauerte einige Sekunden, ehe die Farbe in mein Gesicht zurückkehrte. Als ich wieder Luft bekam, sprudelte es aus mir heraus: »Mein … mein Vater? Blödsinn! Ich habe meine Eltern nie kennengelernt! Woher …? Sind Sie sicher? Was hat er all die Jahre gemacht? Woran ist er gestorben?«
    Ich wusste nicht, was ich angesichts dieser Offenbarung fühlen sollte. Vanderbilt war weit davon entfernt, mich von der Wahrhaftigkeit seiner Behauptung zu überzeugen. Doch selbst falls ich ihm geglaubt hätte … in mir rangen die verschiedensten Emotionen miteinander. Und was der Notar anschließend erzählte, machte die Sache nicht gerade besser.
    »Beruhigen Sie sich, Mr. Usher. Ihre aufbrausende Art ist eines Gentlemans nicht würdig. Ja, atmen Sie tief durch. Versuchen Sie, sich zu entspannen. Besser. Also, um einige Ihrer Fragen zu beantworten: Ihr Vater hat zeit seines Lebens von Ihrer Existenz gewusst. Ja, er hat Sie sogar überwacht, könnte man sagen. Allerdings zwangen gewisse … Umstände ihn und seine Gattin dazu, sich Ihnen niemals zu offenbaren.«
    »Seine Ga … Sie meinen meine Mutter?«
    »In der Tat, ich spreche von Ihrer Mutter.«
    »Aber … aber warum haben sie sich nie bei mir gemeldet? Weshalb waren sie nicht für mich da, als … als ich sie gebraucht hätte?«
    Ich war drauf und dran, dem dürren Kerl an die Kehle zu springen. Die Vorstellung, dass die eigenen Eltern sich vor mir verborgen haben sollten … dass sie mich weggegeben hatten, in die zweifelhafte Obhut eines Heims … dass sie mich laut Vanderbilt mit meinem entbehrungsreichen und gepeinigten Leben alleingelassen hatten, obwohl Sie von meinen Problemen wussten … es war beinahe mehr, als ich ertragen konnte.
    Der ausgemergelte Mann beugte sich vor und fixierte mich mit kühlem Blick. »Es ist nicht meine Aufgabe, die Motive Ihrer Eltern zu hinterfragen, Mr. Usher. Ich verwalte lediglich den Nachlass.« Einer seiner Finger pochte auf den Umschlag. Ich erwartete halb, dass er ihn mit dem
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