Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Grauen in den Bergen

Das Grauen in den Bergen

Titel: Das Grauen in den Bergen
Autoren: Fred Ink
Vom Netzwerk:
geworden, doch schien diese raue und abgelegene Gegend gutes Terrain für große Räuber zu sein. Ich kam allerdings rasch zu dem Schluss, dass mir keine Gefahr drohte, denn allem Anschein nach gab es in meiner Nähe überhaupt keine Tiere. Der Wald war vollkommen still, wenn man von den im böigen Wind raschelnden Nadeln absah. Kein Vogel zwitscherte, kein Insekt summte. Ich fragte mich, woran das liegen mochte. Es war kalt, doch hatte der Winter selbst hier oben noch nicht Einzug gehalten. Etwas anderes musste die Gegend entvölkert und zum Verstummen gebracht haben.
    Je intensiver ich lauschte und mich konzentrierte, desto mehr glaubte ich, doch etwas auszumachen: ein nahezu unmerkliches Brummen. Eine Schwingung in einer Frequenz, die das Ohr eines alten Mannes nicht erfassen könnte. Etwas schien in der Luft zu liegen, ein unfassbares und unangenehmes Ding, eine Präsenz, die sich über das Land breitete und alles in erstickendes Schweigen hüllte …
    Und dann war mir, als würde die Schwingung in einer bestimmten Richtung stärker werden, so als stünde dort die Quelle des Brummens. Ein Sender oder etwas Ähnliches. Mein Blick heftete sich auf die Bergspitze, die über den Bäumen vor mir aufragte.
    »Unsinn!«, schalt ich mich und blinzelte energisch. Ich habe oft genug miterlebt, wie mein Verstand mir Traumbilder vorgaukelte. Man hat mir immer wieder erklärt, was real ist und was nicht. Wenn die Worte der Ärzte nicht ausreichten, griff man zur Übermittlung der Botschaft auf Medikamente und Elektroschocks zurück. Ich habe gelernt, zwischen der Wirklichkeit und meinen Fantasien zu unterscheiden. Und ich hatte mir geschworen, nicht noch einmal von Letzteren irregeleitet zu werden!
    Also zwang ich mich, die fremdartige Schwingung zu ignorieren. Gewiss gab es ganz natürliche Erklärungen dafür. Wenn ich in wenigen Stunden meine Medikamente nahm, wäre alles wieder in Ordnung.
    Insgeheim wunderte ich mich aber, denn diese Ausgeburt meines kranken Verstands hätte nach ihrer Entlarvung eigentlich verschwinden müssen. So hatte man es mir beigebracht. Doch hier, in den Bergen, in der feuchten Kälte, blieb alles bestehen.
    Schließlich erreichte ich die Siedlung. Nie bot sich mir ein bedrückenderer Anblick. Das Dorf sank gegen den Gipfel eines Berges (von denen es in Neuengland jede Menge gibt, also bitte: Mach dir keine Mühe, Magdalene). Es schien sich ängstlich in seine Ecke zu kauern, um den Nebeln, die es bedrängten, möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Mir war, als würde die Feuchtigkeit den Großteil des Sonnenlichts verschlucken. Stete Düsternis hielt die schiefen Hütten umklammert und legte sich bleiern auf mein Gemüt. Wie ich inzwischen weiß, wird es in den schlammigen Gassen niemals wirklich hell, selbst an Tagen, an denen sich die Schleier lichten.
    Die Bezeichnung »Dorf« war beinahe zu hoch gegriffen. Vielleicht ein Dutzend Gebäude stand gegen die Flanke des Berges gewürfelt, und kaum eines von ihnen war bewohnbar. Die meisten Fenster waren vernagelt, der Großteil der Dächer zumindest teilweise abgedeckt, viele der Mauern rissig oder eingestürzt. Moose und Flechten überzogen alles mit feuchtem Filz. Die Straße, die sich durch das Bild des Verfalls wand, war unbefestigt. Lehmiger Boden schmatzte unter meinen Schuhen, als ich diesen Bretterfriedhof betrat.
    Keine Menschenseele war zu sehen. Fußspuren vermisste ich ebenso wie aus Schornsteinen aufsteigende Rauchfahnen. Alles wirkte verlassen. Befand ich mich in einer Geisterstadt?
    Aber halt, da war etwas. Ein Geräusch. Es kam von vorn, wo der Weg eine scharfe Biegung beschrieb. An dieser Ecke stand ein Haus, das nicht ganz so heruntergekommen wirkte wie die anderen.
    Als ich schließlich begriff, was ich da hörte, umfasste ich den Griff meines Koffers fester. Ein Knurren. Tief, grollend und feindselig.
    Ich zögerte. Lebten hier doch Raubtiere?
    Natürlich hätte ich umkehren können. Aber die Erforschung des Heims meiner vermeintlichen Eltern erforderte, dass ich weiterging. Bislang hatte keine der verfallenden Ruinen die richtige Hausnummer getragen. Und wenn ich mein Erbe haben wollte, musste ich mich gleichfalls weiter vorwagen – schließlich kann man aus der Ferne kein Gebäude in Schutt und Asche legen, zumindest nicht mit Mitteln, die mir zugänglich sind.
    Also setzte ich tapfer einen Fuß vor den anderen. Zwei Schritte, dann fünf. Zehn.
    Das Knurren erstarb.
    Ich lächelte. Die Siedlung war doch nicht gänzlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher