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Das Grauen in den Bergen

Das Grauen in den Bergen

Titel: Das Grauen in den Bergen
Autoren: Fred Ink
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die Zweifel beinahe verflüchtigt hatten. Wenn sogar diese hinterwäldlerische Bauersfrau mich erkannte … es musste schon mit dem Teufel zugehen, sollte ich kein Coldlowe sein.
    Das letzte Licht schwand, als ich zum zweiten Mal an diesem Tag über den schlammigen Pfad stapfte. Ich trug eine Decke um die Schultern, die einstweilen meinen Mantel ersetzen sollte. Die Kälte, die aufgrund der nahenden Finsternis in mir aufstieg, war jedoch nicht durch ein Kleidungsstück zu bezähmen.
    »Außer mir lebt hier sons‘ keiner mehr«, krächzte die Alte. »Se sind alle fort, und wahrscheinlich isses auch besser so.«
    Die Sonne war längst hinter dem Berg verschwunden, das Zwielicht besaß eine nahezu greifbare Präsenz. Ein eisiger Wind pfiff mir um die Ohren. Er roch nach nahendem Winter, entmutigend und hoffnungslos.
    Ich nickte. »Mit diesem Ort scheint etwas nicht … es ist, als wäre er …«
    Mrs. Pickman gurrte energisch, ein Geräusch, das wohl Zustimmung signalisieren sollte. »Als wär’s was Böses, nicht? Verderbt. Sehn’n Se nur zu, dass Sie bald wieder verschwinden. ‘s gibt schönere Flecken auf der Welt.«
    »Weshalb sind Sie noch hier?«
    Sie lachte schnarrend. »Wo sollt‘ ein altes Ding wie ich schon hin?«
    Während sie vor mir herging, murmelte die Alte weiter. Sie redete so leise, dass sie glauben musste, ich würde sie nicht mehr hören. Vielleicht war sie sich auch nicht bewusst, die Worte tatsächlich auszusprechen. »Außerdem gilt’s, Aufgaben zu erfüll’n. Verträge sind‘s, alte Bande. Unheil, das droht, wenn ich nicht bleib‘...«
    Mehr verstand ich nicht. Aber das Gehörte reichte aus, mich noch stärker frösteln zu lassen.
    Seit ich mich im Freien befand, vernahm ich auch wieder die rätselhafte Schwingung. Sie brummte unablässig und lenkte meine Aufmerksamkeit wie magisch in Richtung des Gipfels.
    »Was ist das eigentlich für ein Geräusch?«
    Mrs. Pickman zögerte eine Spur zu lange. »Was meinen Se denn?«, fragte sie schließlich.
    »Dieses Surren. Es kommt von dort oben.«
    Ich deutete den Hang hinauf. Die Alte sah kurz hin, riss den Blick dann aber förmlich von der Bergspitze. Sie bekreuzigte sich mit einer schnellen Bewegung und murmelte etwas Unverständliches. Eine knotige Hand ergriff meinen unverletzten Arm und zog mich weiter den Weg entlang.
    »Ach, hier lieg’n allerlei seltsam Ding‘ in der Luft. Der Wind pfeift um die Gipfel und hört sich bös‘ an. Machen Se sich keine Gedanken, junger Herr.«
    Sie war keine sonderlich talentierte Lügnerin, doch ich beschloss, das Thema vorerst ruhen zu lassen. Stattdessen widmete ich meine Aufmerksamkeit Mrs. Pickmans Hund, der hinter einer Häuserruine hervortrabte und sich uns anschloss. Er machte keine Anstalten, mich erneut anzufallen, fletschte jedoch drohend die Zähne.
    »‘s ist wegen Ihrer Abstammung«, krähte Mrs. Pickman. »Er riecht Coldlowe’sches Blut auf nen Kilometer gegen ’n Wind, mein Boxer. Konnt‘ Sie und Ihresgleich’n noch nie leiden.«
    »Was hat er gegen uns?«
    Ein tiefes Knurren antwortete mir. Scheinbar reichte schon meine Stimme aus, um das Vieh zu erzürnen.
    »Boxer, aus!«, zischte Mrs. Pickman und hob drohend eine Hand. Das Knurren verstummte. »Ich glaub‘, er weiß irg’ndwie, dass die Coldlowes das Unheil übers Dorf gebracht ham. Wollten zwar alle nix Böses, doch isses durch sie erst wirklich schlimm hier geword’n.«
    Ich blieb stehen. »Mrs. Pickman, wovon zum Teufel reden Sie? Was haben meine Eltern hier angestellt?«
    »‘s waren nich‘ nur Ihre Eltern. Ihre Ahnen ham seit vielen Generationen hier gelebt, zumindest immer für’n paar Monate im Jahr.«
    »Und was haben sie getan?«
    Sie schien kurz zu überlegen. Dann winkte sie ab. »Ach, das is‘ nun vorbei. Belasten Se sich nich‘ damit, tun Se, weswegen Sie hier sind und lassen Se die Vergangenheit ruh’n. Dies Dorf wird schon bald vergessen sein und dann is‘ die Sache erledigt.«
    Sie stapfte weiter. Ich rief: »Aber … Mrs. Pickman! Ich bestehe darauf, dass Sie …«
    »Keine Antworten mehr«, schnarrte sie. »Spät ist’s geworden. Beeilen Sie sich, damit’s nich‘ unterwegs dunkel wird.«
    Erst jetzt wurde mir bewusst, dass in dem gottverlassenen Dorf keinerlei Strommasten standen. Elektrizität gab es nicht, was bedeutete, dass nach Einbruch der Nacht alles in undurchdringliches Dunkel gehüllt sein würde.
    Wir passierten eine trostlose Weide. Ausgemergelte Rinder zupften die wenigen grünen Halme
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