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Blätter treiben im Wind (German Edition)

Blätter treiben im Wind (German Edition)

Titel: Blätter treiben im Wind (German Edition)
Autoren: Alex Dengler
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Prolog
     
     
    Es gibt intensive Momente, die in Gefühlen erblühen wie ein Rosenstrauch. Dies hier war einer davon. Welch Folgen solch ein Rausch nach sich ziehen kann, stand in den Blättern der Bäume geschrieben. Die Blätter blühen saftig, sie verfärben sich farbenfroh, sie verabschieden sich traurig, bevor sie wiederkommen, und erneut so kräftig erblühen, als wären sie niemals weg gewesen.
    Donna wischte sich Tränen aus dem Gesicht. Sie hatte lange nicht mehr geweint. Für wen war der Brief bestimmt? Wer war T.?
    Der Himmel zeigte sein freundlichstes Blau. Die Ulmen, Eschen und Eichen färbten sich Blatt für Blatt in die Farben des Herbstes. Das Gras, auf dem Donna saß, blühte noch in saftigem Grün. Der Public Garden war ein Ort des Friedens. Unweit von ihr zog sich eine kleine viktorianische Brücke über ein Gewässer. Das verspielte blaue Geländer, welches die Brücke zierte, war auf beiden Seiten von hohen Steinsäulen unterbrochen. Auf ihnen waren verzierte Metallstangen befestigt, die eine runde, weiße Kugel aufgesetzt hatten. Sobald der Abend Einzug hielt, spendeten sie den Besuchern des Parks freudiges Licht. Auf der Brücke befand sich ein älteres Liebespaar. In ihren Augen war abzulesen, dass sie in weitaus höheren Sphären schwebten – immer noch.
    Im leisen Wind, der sie umgab, gingen ihr die Bedeutungen der aufs Papier gedruckten Worte nicht aus dem Sinn. Es waren so schön gewählte Worte. Nur in tiefstem Herzen konnten solch Gefühle geboren werden. War er noch verliebt in diese Frau? Wie konnte der Brief nur auf die Seiten ihres Internet-Buchhändlers gelangen? Donna war verwirrt. Sie sah auf ihre Armbanduhr. Zum wiederholten Male nahm sie nun den Brief zur Hand und las ihn.
     
    Ein Liebesbrief
     
     
     
    Ich liebte Dich, von dem ersten Augenblick an, als ich Dich sah.
     
    Ich liebte Dich, wenn Du mir mit Deinen erfrischend betörenden und kindlich kullernden Blicken den Atem und somit die Sprache raubtest. Ich liebte Dich, für Deine schön gewählten und ergreifend tiefgehenden Worte, die mein Herz erbeben ließen.
     
    Ich liebte Dich, wenn Du mich mit Deinen unwiderstehlich verrückten und zärtlich liebevollen Gesten zum Lachen und zum Weinen brachtest.
     
    Ich liebte Dich, für Deinen lieblich magischen und leidenschaftlich betörenden Duft, der gerade jetzt und in jeder Sekunde meines Lebens an mir vorbeizieht, wie ein Feld voller Blumen, in das ich unendlich gerne eintauchen möchte.
     
    Ich liebte Dich, wenn Du wie ein verwuscheltes Eichhörnchen neben mir aufwachtest, das im Traum die Äste nach neuen Geschichten absuchte, und sie mir in unvergleichlicher Form sofort erzählen musste.
     
    Ich liebte Dich, wenn Du, so hilflos tollpatschig und zugleich zum Verlieben schön, sämtliche Dinge in Scherben legtest, und darüber nie Dein Lächeln und Deinen Humor verlorst.
     
    Ich liebte Dich, wenn Du nach einem Glas Wein Dinge sagtest, die Dir am nächsten Tag zutiefst peinlich waren, und Deine Wangen sich sanft in die Farbe eines unvergesslichen Sonnenuntergangs verfärbten.
     
    Ich liebte Dich, für Deine innerliche und äußere Stärke, mit der Du Menschen mit falschen Behauptungen, irreführenden Bemerkungen und bitterernsten Äußerungen beeinflussen und sogar verändern konntest.
     
    Ich liebte Dich, für Deine Gabe, mit wenigen Worten aufbrausende Kinder in ein friedvolles Schweigen zu legen und traurige, ältere Menschen mit einem alles umarmenden Lachen wieder Kraft zu geben.
     
    Ich liebte Dich, wenn Du das getan hast, was Du lange Jahre getan hast: nämlich leben! Mit mir, für uns und für die ganze Welt.
     
    Ich konnte es damals spüren. Tief in mir drin konnte ich es spüren, Du hattest keinen anderen Ausweg. Doch meine Hoffnung, auch wenn sie noch so tief in einer Schlucht festgehalten wurde, ruhte auf einem festen, aus Liebe gewachsenen, Sockel. Doch nun, Jahre später, ist es so schwer wie die Last von zwanzig Maultieren, die auf meinen Schultern ruhen, weil ich nicht begreifen kann, warum Du es tatest. Aus den düsteren Stürmen und dem tiefen Dickicht hätte es Wege gegeben. Finden, ja finden hätten wir sie können. Aber nur zusammen – nicht allein.
     
    Jetzt wo ich hier sitze, Tag für Tag, verrinnen die Sekunden, wie die Minuten, so auch die Stunden wie quälende Schmerzen, die ich zu ertragen bald nicht mehr im Stande bin. Ich bin gefangen von der Zeit. Das unbezahlbare und nie wieder kommende Gut der großen Liebe hält mich gefangen.
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