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Das Grauen in den Bergen

Das Grauen in den Bergen

Titel: Das Grauen in den Bergen
Autoren: Fred Ink
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Limousine, die nahe dem Tor parkte. Als der Fahrer mich bemerkte, stieg er aus und nickte mir freundlich zu.
    »Mr. Usher?« Er klang vornehm und trug eine Chauffeurs-Uniform aus edlem Zwirn.
    »Ja?«, entgegnete ich wenig einfallsreich.
    »Vergessen Sie den Bus. Mr. Vanderbilt hielt es für geziemender, dass ich Sie abhole.«
    Ehe ich meiner Verblüffung Ausdruck verleihen konnte, hatte der Mann sich mein Gepäck gegriffen und im Kofferraum verstaut. Er kehrte zu mir zurück und hielt mir die Tür auf. »Wenn ich bitten dürfte?«
    »Wer ist Mr. Vanderbilt? Und wohin wollen Sie mich bringen?«
    »Mr. Vanderbilt pflegt mich nicht über die Details seiner Geschäfte zu informieren. Nach allem, was ich weiß, spielt jedoch eine Erbschaft eine nicht unerhebliche Rolle bei der Sache.«
    »Eine Erbschaft? Wer sollte mir etwas vererben? Ich habe keine Familie, abgesehen von …« Das pure Entsetzen ergriff mich. »Magdalene! Was ist mit meiner Frau?«                   
      Der Chauffeur lächelte milde. »Ihre Gattin ist wohlauf, machen Sie sich keine Sorgen.«
    »Woher wollen Sie das wissen? Ich denke, Ihr Boss erzählt Ihnen …«
    »Mr. Vanderbilt hat zufälligerweise darauf bestanden, dass ich ausschließlich Sie abhole, Mr. Usher. Ihre Frau darf unter keinen Umständen zugegen sein.«
    Ich bestürmte den Mann noch mit vielen weiteren Fragen, doch er lächelte sie allesamt weg und deutete hartnäckig ins Innere des Fahrzeugs. Es war ein sündhaft teures Modell, ausgelegt mit duftendem Leder und mit Zierleisten aus Wurzelholz veredelt. Ich gebe zu, dass der Gedanke, derart komfortabel zu reisen, einen nicht unerheblichen Reiz auf mich ausübte. Selbstverständlich hatten mich die Andeutungen des Mannes auch neugierig gemacht; ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wer mir etwas hätte vererben sollen und brannte darauf, dieses Rätsel zu lösen. Ein vorläufiges Reiseziel hatte ich nun auch, also gab ich dem Drängen des Fahrers schließlich nach und sank in die weiche Rückbank.
    Als der Chauffeur (seinen Namen habe ich nie erfahren) sich während der Fahrt als weitgehend wortkarg entpuppte, beschloss ich, stattdessen die Landschaft zu genießen, um die nagenden Gedanken zu verdrängen. Viel zu lange hatte ich nur durch vergitterte Fenster nach draußen spähen können, hatte ich lediglich Luft atmen können, die durch Reihen von Metallstäben und Zäunen gefiltert wurde. Nun breitete sich die offene Welt vor mir aus, und mir schien, als habe sie sich zu meiner Begrüßung in ihr prächtigstes Gewand gekleidet. Eine Prozession aus rotgoldenen Blättern, dampfenden Wiesen und märchenhaften Gehöften zog an meinen gierigen Augen vorbei, als wir über die verschlungenen Straßen der Berge Neuenglands rollten. Naturbelassene Bächlein plätschern dort unbehelligt dahin, während uralte Bäume ihre mächtigen Äste über sie breiten. Es gibt Schluchten und Täler, die bis heute der menschlichen Besiedlung entgangen sind. Und mit einem Mal erschien mir die Vorstellung, ein Leben in dieser wunderschönen Abgeschiedenheit zu führen, ungemein verlockend. Wo könnte ich eine bessere Gelegenheit finden, mich ins Leben zurückzutasten, als in der friedlichen Idylle dieser ländlichen Gegend?
    Natürlich hatte ich zu jenem Zeitpunkt keine Ahnung davon, dass mein weiterer Weg mich schon bald in diese Abgeschiedenheit führen würde. Mir war auch nicht klar, dass es Flecken gibt, die der Mensch vollkommen zu Recht meidet, Orte, denen ein Schatten anhaftet und die nicht gesund sind. Hätte ich nur den Schimmer einer Vorstellung davon gehabt, was mir innerhalb der nächsten Tage bevorstehen würde, ich hätte sofort die Tür des Wagens aufgestoßen und mich in voller Fahrt auf die Straße geworfen.

- Ein Erbe und ein Vertrag -
     
    Mr. Vanderbilt kam einem Geier so nah, wie es einem Menschen möglich ist. Vielleicht hatte er die Grenzen des in diesem Zusammenhang Erlaubten auch um einige Zoll überschritten. Sein kahler Schädel klammerte sich an einen langen, dürren Hals. Eine riesige Aristokratennase stach mir entgegen, während mich kleine, gierig funkelnde Äuglein musterten. Sein Alter war unbestimmbar, ich schätzte ihn jedoch auf mindestens siebzig, da seiner Haut eine pergamentartige Faltigkeit zu eigen war, die mir nicht sonderlich behagte. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, einem Aasfresser gegenüberzusitzen, der vom sicheren Platz im hohen Geäst aus auf seine nächste Mahlzeit
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