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Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mit einem gebleichten Baumwollappen und zog dem Verletzten ein Hemd über, das einer der Männer ihr gab. Le ergriff ihre Hand, drückte sie dankbar und legte sie auf sein Herz. Dann schien er einzuschlafen. Er atmete regelmäßig und tief und hatte die Augen geschlossen.
    Am Heck saßen Cuong und Xuong wieder beisammen und suchten mit scharfen Augen den Horizont ab. Plötzlich konnte es auftauchen, das Piratenschiff, hochschießen aus einem Wellental. Dann gab es nur noch die Flucht mit voller Motorkraft, auch auf das Risiko hin, daß die Zylinder explodierten oder die Kurbelwelle brach.
    »Er ist nicht lange getrieben«, sagte Xuong. Sein Gesicht lag in Falten, jetzt sah man ihm seine fünfundvierzig harten Jahre an. »Er sieht zu gut aus für einen Menschen, der schutzlos unter der Sonne auf dem Meer treibt. Hat er Verbrennungen? Nein. Sind seine Lider rot und geschwollen? Nein. Ist er mit getrocknetem Meersalz bedeckt? Nein. Ist seine Zunge dick und aufgequollen vor Durst? Nein. Tränen seine Augen unter dem Feuer der Sonne? Nein. Was folgerst du daraus, Cuong?«
    »Du bist der Lehrer, Xuong. Ich bin nur ein Mechaniker.«
    »Der Überfall hat erst gestern stattgefunden. Länger als eine Nacht und diesen halben Tag hat Vu Xuan Le nicht in dem Boot gelegen.«
    »Du willst sagen, die Piraten sind in unserer Nähe?« In Cuongs Stimme schwang deutlich Angst mit.
    »Sie liegen, wie ich geahnt habe, wie eine Kette vor der Schifffahrtstraße. Sie warten auf die Flüchtlingsboote.«
    »Und wir schwimmen genau in ihre Netze …«
    »Eben das müssen wir vermeiden.« Xuong musterte wieder den Horizont. Wenn dort etwas auftauchte, und sei es nur ein nicht zu bestimmender Punkt, gab es nur die Flucht zurück zur Küste. Das Gefängnis in Vinh-long konnte man überleben, die Revolver, Beile und Dolche der Piraten nicht. »Es bleibt dabei. Wir fahren nur in der Nacht. Ohne Licht. Wir werden zur Wasserstraße kommen, Cuong, ich fühle es. Und mein Gefühl hat mich noch nie betrogen.«
    »Wir werden beten«, sagte Cuong. Er war, wie sie alle im Boot, ein gläubiger Christ und deswegen schon oft von den kommunistischen Funktionären geschlagen und verhöhnt worden. Am schlimmsten war es vor fünf Monaten gewesen. Da hatten ihn drei Funktionäre in ihr Dienstzimmer geführt und mit Fußtritten und Faustschlägen vor eine große hölzerne Marienstatue getrieben, die sie aus irgendeiner Kirche entführt hatten. Unten in die Figur hatten sie ein großes Loch gebohrt. Nun stellten sie Cuong davor, lachten, spuckten ihm ins Gesicht und befahlen hämisch: »Hol deinen Schwanz raus! Los, los, hol ihn heraus! Fick deine Gottesmutter! Willst du wohl die Hose öffnen!« Und als Cuong stehenblieb, rissen sie ihm die Hose herunter und schlugen mit der flachen Hand gegen sein Geschlecht. »Fick sie, sofort, oder wir schlagen dich tot! Zeig, wie's ein guter Affe macht!«
    »Schlagt mich tot!« hatte Cuong tapfer geantwortet. »Genossen, schlagt mich tot.«
    Das Wort Genosse rettete Cuong. Sie traten ihn nur in den Hintern, hieben mit biegsamen Stöckchen gegen seinen Unterleib, steckten dann die Stöcke in das Loch der Marienstatue und grölten wüste, säuische Verse. Aber Cuong hatte überlebt …
    Jetzt, an diesem gefährlichen Tag, knieten sie alle nieder, falteten die Hände und beteten um die Gnade der Rettung. Auch die Kinder beteten, die ganz Kleinen ohne zu wissen, was das bedeutete. Sie sprachen einfach die Worte ihrer Mütter nach. Vu Xuan Le lag auf dem Hinterdeck und beteiligte sich nicht an den Gebeten. Man nahm es ihm nicht übel. Er hatte wohl zuviel Grauenhaftes erlebt, um jetzt auch noch einen Gott anrufen zu können, der seinem Wesen völlig fremd war. Ein Gott, der den Menschen Liebe und Vergebung predigte … für Le mochte der Gedanke an Rache und Vergeltung näher und stärker sein.
    Bis die Nacht hereinbrach, trieben sie am Anker auf dem Meer. Die Wellen wurden höher, ein warmer Wind blies von Land her. Das Boot begann zu schwanken und zu knarren, wurde empor- und wieder hinabgeworfen, es knirschte an allen Enden, als lösten sich Schrauben und Nägel. Voll Angst krochen die Frauen eng zusammen und preßten die Kinder an sich, einige würgten, umklammerten die Bordwand und spuckten in das Meer. Aber Xuong war zufrieden und sagte: »So ist es gut. Cuong, sobald es völlig dunkel ist, wirf den Motor wieder an.«
    Die Nacht hindurch fuhren sie mit voller Kraft. Cuong und drei andere Männer lösten sich am Steuer ab. Nur
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