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Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer
Autoren: Heinz G. Konsalik
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seinem Raketenwerfer und starrte fassungslos auf dieses Manöver. »Das gibt es doch nicht«, stammelte er. »Das ist nicht wahr! Sie sehen uns und drehen ab! Sie fahren einfach vorbei … sie fahren weg! Sie … sie flüchten vor den Flüchtlingen!«
    »Was ist das, Xuong?« schrie Cuong. Er begriff nicht sofort, wozu Menschen fähig sind. »Sie haben uns nicht gesehen! Noch eine Rakete … noch eine Rakete!«
    Der alte Motor gab her, was er konnte. Das flache Boot hüpfte über die Wellen, bei jedem Eintauchen spritzte Wasser über die Insassen, durchnäßt schrien und winkten sie, schwenkten ihre Wäsche und konnten einfach nicht begreifen, was sie sahen. Im Verschlag klammerten sich die Kinder fest, bei jedem Wellenstoß durchgerüttelt, aber sie weinten nicht mehr. Nur noch eine kurze Zeit, und alles war vorbei.
    »Sie haben uns gesehen«, sagte Xuong mit tonloser Stimme und stellte den Gashebel zurück auf halbe Fahrt. Den Blick von Cuongs Augen würde er nie vergessen, so entsetzlich war er.
    »Noch … noch … eine Rakete …«, stammelte Cuong. Sein Gesicht zuckte wie unter Krämpfen. »Sie können uns nicht übersehen …«
    »Sie wollen uns nicht sehen, Cuong! Das ist alles.«
    »So etwas gibt es nicht! Das ist doch Mord!«
    »Nein, das ist Feigheit. Weiter nichts als Feigheit. Der Mensch, Cuong, ist das feigste Wesen auf dieser Erde. Wo er fliehen kann, flieht er. Und er findet immer schöne Worte, um seine Feigheit zu verkleiden.«
    »Aber wir sind doch auch Menschen!« schrie Cuong. Er starrte dem Containerfrachter nach, der sich schnell entfernte. Einer nach dem anderen ließ die Arme sinken, preßte die Tücher und die Wäsche unter den Arm und blickte stumm auf das entschwindende Schiff. Lautlos, mit weiten, fassungslosen Augen, fügten sie sich der Wahrheit: Wir sind Ausgestoßene. Niemand will uns. Treibholz ist wertvoller als wir. Wir sind ein Nichts.
    Mit schweren Händen, als hinge Blei an ihnen, zog Xuong die Plane wieder über das Raketenabschußrohr und setzte sich dann auf den Motorkasten. Weit am Horizont verschwand das Containerschiff. Cuong stellte den Motor ab. Ohne Aufforderung warfen zwei Männer wieder den Treibanker über Bord. Dann gingen sie zurück zu den anderen, hockten sich nieder und stierten wie alle stumm vor sich hin. Nach der Freude über die gelungene Flucht aufs Meer hatten sie zum erstenmal die Verachtung derer erfahren, von denen sie Rettung erhofften. Rettung vor Verfolgung, vor Hunger und Durst, vor dem Ertrinken, wenn der Wind noch stärker wurde und die Wellen das flache Boot zerschlugen.
    Doch eine Hoffnung blieb noch: Die Begegnung mit dem Frachtschiff bewies, daß sie nahe an der großen Route trieben. Waren sie erst mitten auf der Wasserstraße, würde von den vielen Schiffen eines anhalten. Wohin es dann fuhr, war ihnen gleich. Nur weg von Vietnam! Die Welt war doch groß und reich genug, um 43 arme Menschen aufzunehmen …
    »Wie kommt das Wasser in die Kiste?« fragte Xuong. Er hatte die Raketen herausgenommen und zum Trocknen aufs Deck in die Sonne gelegt.
    »Jemand wird Wasser verschüttet haben.« Cuong blickte noch immer auf den nun leeren Horizont, an dem der Container verschwunden war. »Bei diesen Wellen …«
    »Es ist Seewasser, Cuong.« Xuong nahm eine Raketenhülse hoch und leckte daran. »Salz! Wie kommt Salzwasser in den Schlafraum?«
    »Mindestens zehnmal sind Wellen ins Boot geschlagen.«
    »Aber nicht in den Aufbau.«
    »In den Bretterwänden sind breite Lücken. Einige Kinder sind naß geworden, warum nicht auch die Kiste? Sie stand doch an einer Wand.«
    »Ich glaube das nicht.« Xuong drehte die Raketenhülsen um, damit sie gleichmäßig trockneten. Ob sie hinterher wieder zu gebrauchen waren, wußte er nicht. Er hoffte es. Auf der Wasserstraße der großen Schiffe hing ihr Leben an den roten Kugeln, vor allem nachts, wenn man von weitem die Retter auf sich aufmerksam machen mußte. Daß Fackelschein allein genügte, bezweifelte Xuong. Man mußte dann schon nahe an eines der Schiffe herankommen. Die tiefe Schwärze der Nacht schluckte jedes kleine Licht. Die Raketen aber durchdrangen jede Finsternis.
    »Ein paar Tropfen durchnässen nicht alle Hülsen.«
    »Sabotage?« Cuong schüttelte den Kopf. »Hier auf dem Boot? Das müßte ein Verrückter sein. Wir wollen doch alle in die Freiheit. Und einen Verrückten gibt es nicht unter uns. Wir sind doch alle Freunde, wir kennen uns seit Jahren. Wo hast du die Raketen gekauft?«
    »In einem
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