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Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Bug des kleinen Bootes, die Schwärze saugte es auf. Und doch war diese Fackel ein lautloser Schrei: Hier sind Menschen … helft uns, glücklichere Brüder! »Sie schläft und wird nichts merken. Sieh dir die Kinder an. Sie dörren aus. Ihre Haut schrumpft zu Leder wie bei einem Greis.« Er breitete die Arme aus und schüttelte die Hände. »Und die Schiffe fahren vorbei, Xuong, du hast zuviel von den Menschen erwartet.«
    »Laß uns noch einen Tag abwarten … oder zwei …« Lam Van Xuong legte die Hände übereinander, lehnte sich an den Motorkasten zurück und blickte in die schwarze Nacht. Mit wieviel Hoffnung waren sie vor zwanzig Tagen aus dem kleinen Hafen Phu-winh im Mekong-Delta ausgelaufen. Wir haben ein Boot, endlich haben wir ein Boot! Nach einem Jahr Warten, bis man den Kaufpreis zusammengespart hatte, ein Jahr, in dem der Bootsbesitzer viermal den Preis erhöhte und freundlich lächelnd sagte: »Ich brauche nicht zu verkaufen, ihr müßt kaufen … dieser Unterschied ist eben teuer.«
    Sie waren aus drei benachbarten Dörfern zusammengekommen. Xuong, der Lehrer, aus der Haft der politischen Polizei entlassen und mit Berufsverbot belegt, arbeitete als Holzfäller in einer Kommune, mußte die schwersten und dreckigsten Arbeiten übernehmen, vor denen sich die anderen Kommunarden drückten. Aber er blieb der ›Lehrer‹, wenn er an einem freien Tag die Dörfer besuchte, aus denen die Schüler früher zu ihm in das Schulgebäude von Nha-duc gekommen waren. Mit wehem Herzen sah er die Not seiner Freunde, die von Mal zu Mal größer wurde, hörte die klagenden Frauen an, deren Männer zur Zwangsarbeit abgeholt worden waren, sprach mit dem ehemaligen Bürgermeister Phan Kim Trong, den die Geheimpolizei vier Monate lang gefoltert hatte, nur auf den Verdacht hin, er habe vier Säcke Reis zur Seite geschafft und heimlich verkauft, was nie bewiesen werden konnte, da er es nicht getan hatte. Nun war Trong ein Krüppel, körperlich und seelisch, zerbrochen an einem System, das nur Mißtrauen und blinde Unterwürfigkeit kennt. Und bei einem dieser Besuche hatte Xuong beschlossen, ein Boot zu kaufen und über das Meer zu flüchten in eine Welt ohne Verfolgung und Folter, ohne Angst und ohne Schläge. Vielleicht nach Thailand oder nach Singapur, nach Sumatra oder den Philippinen, oder in eine weite Ferne, in einen anderen Teil dieser Erde, wo Menschen lebten, die wußten, was Menschlichkeit bedeutet. Humanität nannte es der kluge Lehrer. Die Frauen und Männer, die ihm zuhörten, hatten dieses Wort noch nie gehört, aber als er es ihnen erklärte, leuchteten ihre Augen.
    Gab es das überhaupt? Humanität? Anerkennung der Würde aller Menschen, ganz gleich, welcher Rasse, aus welchem Staat, von welchem Stand? Vorbei mit aller Sklaverei unter einer diktatorischen Regierung? Politische Gleichberechtigung aller Auffassungen und Gedanken? Freie Gedanken? Freie Rede? Ein Mensch mit Menschenrechten … mein Gott, gab es das wirklich?! Keine Tritte und Schläge mehr, kein Arbeiten bis zum Umfallen für eine Schüssel Reis mit Fisch? War das nicht das Paradies, von dem der Pater immer predigte? Und das soll vor der Tür liegen, nur ein paar hundert Meilen weiter, jenseits der Linie, an der auf jeden geschossen wird? So nah, und doch so unerreichbar wie ein Stern …
    Aber nein. Hört euch doch Xuong, den klugen Lehrer an. Hört, was er erzählt, was er vorschlägt, welchen Weg es gibt zu dieser sagenhaften Humanität: Über das Meer! Nur ein gutes Boot braucht man und etwas Mut. Und da draußen auf dem freien Meer werden die humanen Menschen die Flüchtlinge auffischen und in die Länder bringen, wo ein Mensch noch das Recht hat zu leben. Auch das hat der Pater gepredigt, und Xuong sagt es jetzt auch: Wir sind alle Brüder! Nur, die einen wissen es, und die anderen wissen es nicht. Laßt uns zu jenen flüchten, die es wissen!
    Es waren zwanzig Männer, sechzehn Frauen und vierzehn Kinder, die Xuong die Hand drückten, Stillschweigen schworen und dann begannen, für dieses Paradies zu arbeiten und zu sparen. Ein Jahr lang, bis Xuong das kleine flache Flußboot kaufen konnte. Drei Männer starben in diesem Jahr, zwei Frauen und zwei Kinder. Man verkaufte auf dem Markt von Vinh-long, was sie hinterlassen hatten, und gab das Geld dem Lehrer.
    Eines Tages sagte Xuong: »Im nächsten Monat, im Mai, wenn das Meer noch ruhig ist, können wir fahren. Das Boot liegt bereit, mittschiffs habe ich einen Raum aus Holz für die Frauen und
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