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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige
Autoren: Oliver Pötzsch
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Prolog
    Palast von Valladolid, 3. März,
    Anno Domini 1524, spätnachts
    Der Kaiser hielt die Welt in seinen Händen, doch er war nicht glücklich.
    Mit langen manikürten Fingern fuhr Karl V. über die glattpolierte Oberfläche der Erdkugel, die all die Länder zeigte, deren Herrscher er seit einigen Jahren war. Die Finger wanderten von Flandern bis Palermo, vom sturmumtosten Gibraltar bis nach Wien an der Donau, von Lübeck an der Nordsee bis hin zu jenem Land, das man neuerdings Amerika nannte und aus dem Gold in dickbäuchigen Galeeren nach Europa kam. Der Kaiser gebot über ein Reich, in dem die Sonne niemals unterging.
    Und nun war dieses Reich in Gefahr.
    Karl kniff die Augen zusammen und suchte auf der hölzernen Kugel einen winzigen Ort, der nicht größer als ein Fliegendreck sein konnte. Doch obwohl der Globus von einem der besten Kartographen seiner Zeit stammte und viele Tausend Gulden gekostet hatte, konnte er den Ort nicht finden. Seufzend verpasste der Habsburger Kaiser der Kugel einen Schubs, so dass sie wild zu rotieren begann. In der lackierten Ober­fläche spiegelte sich sein Gesicht. Erst vor einigen Tagen war Karl V. vierundzwanzig Jahre alt geworden, er war ein eher schwächlicher junger Mann, dessen ungewöhnliche Blässe in Adels­kreisen als besonders vornehm galt. Sein Unterkiefer war leicht nach vorne geschoben, was ihn immer etwas trotzig aussehen ließ; die Augen quollen leicht hervor wie bei allen Mitgliedern ­seiner Familie. Während sich die Kugel weiterdrehte, wandte er sich wieder den Briefen auf seinem Schreibtisch zu.
    Besonders einem Brief.
    Es waren nur ein paar hingekritzelte Zeilen, aber sie konnten den Lauf der Welt verändern. Unter dem Text fand sich eine hastige Zeichnung, das Porträt eines bärtigen Mannes. Eingetrocknete Blutspritzer auf dem Rand des Blattes verrieten, dass dieser Brief nicht gewaltlos in die Hände des Kaisers gelangt war.
    Ein leises Klopfen ließ Karl aufblicken. Beinahe lautlos öffnete sich eine der hohen Flügeltüren, und sein Erzkanzler, Marchese Mercurino Arborio di Gattinara, trat ein. Mit der schwarzen Schaube und dem ebenso schwarzen Barett glich er wie so oft einem leibhaftigen Dämon.
    Es gab nicht wenige Menschen am spanischen Hof, die behaupteten, dass er tatsächlich einer war.
    Gattinara verbeugte sich tief, doch Karl wusste, dass diese Demut nur ein Ritual war. Der Kanzler war beinahe sechzig und hatte in anderen Funktionen bereits Karls Vater Philipp und auch seinem Großvater Maximilian gedient. Seit dem Tode Maximilians vor fünf Jahren herrschte nun Karl über das größte deutsche Reich seit seinem Namensvetter Karl dem Großen.
    »Eure Exzellenz«, sagte Gattinara, während er den Kopf weiterhin gesenkt hielt, »Ihr habt mich gerufen?«
    »Ihr wisst, warum ich Euch trotz der späten Stunde herbestellt habe, Gattinara«, erwiderte der junge Kaiser. Er hielt den blutbefleckten Brief hoch. »Wie konnte das passieren?«
    Erst jetzt hob der Kanzler den Blick, seine Augen waren eis­grau. »Nun, wir haben den Mann kurz vor der französischen Grenze abgefangen. Leider lebte er nicht lange genug, um ihn näher zu befragen.«
    »Das meine ich nicht. Ich meine, wie konnte er an diese Information gelangen?«
    Der Kanzler zuckte mit den Schultern. »Die französischen Agenten sind wie Ratten. Sie verschwinden in einem Loch und tauchen an anderer Stelle wieder auf. Vermutlich gibt es ein Leck in den Archiven.« Er lächelte. »Majestät wird beruhigt sein zu hören, dass wir bereits mit der Befragung möglicher Verdächtiger begonnen haben. Ich leite die Verhöre persönlich, um ihnen die … nun, die nötige Intensität zu verleihen.«
    Karl zuckte kurz zusammen. Er hasste es, wenn Gattinara selbst den Inquisitor spielte, aber eins musste man ihm lassen: Er war gründlich. Auch bei der Königswahl nach Maximi­lians Tod hatte er dafür gesorgt, dass das Geld der Fugger in die richtigen Kanäle geflossen war. Die deutschen Kurfürsten hatten daraufhin Karl und nicht seinen härtesten Konkurrenten, den französischen König Franz, zum deutschen Herrscher gemacht.
    »Und was, wenn dieser Mann nicht der Einzige war?«, hakte der junge Kaiser nach. »Vielleicht gibt es Abschriften dieses Briefs. Es könnten mehrere Boten geschickt worden sein.«
    »Nun, die Möglichkeit besteht tatsächlich. Ich halte es deshalb für unerlässlich, das zu vollenden, was Euer Großvater bereits begonnen hat. Zum Wohle des Reiches«, fügte Gattinara hinzu und
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