Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige
Autoren: Oliver Pötzsch
Vom Netzwerk:
verneigte sich erneut.
    »Zum Wohle des Reiches«, murmelte Karl. Schließlich nickte er. »Tut, was zu tun ist, Gattinara. Ich verlasse mich auf Euch.«
    Der Kanzler machte eine letzte tiefe Verbeugung, dann schob er sich wie eine dicke schwarze Spinne rückwärts aus der Kammer. Die Türen schlossen sich, und der Kaiser war wieder allein.
    Karl dachte eine Weile nach, dann ging er erneut zum Globus und suchte nach jenem winzigen Ort, von dem aus dem Reich so große Gefahr drohte.
    Doch alles, was er dort entdeckte, waren die schraffierten Zeichnungen dichter schwarzer Wälder.

Erstes Buch

    März bis Juni 1524

KAPITEL 1
    Queichhambach bei Annweiler im Wasgau,
    21. März, Anno Domini 1524
    er Junge, dem der Henker die Schlinge um den Hals legte, war nicht älter als Mathis. Er zitterte am ganzen Körper, und dicke Tränen rannen ihm über das von Rotz und Dreck ver­schmierte Gesicht. Von Zeit zu Zeit würgte der Knabe ein Schluchzen hervor, ansonsten schien er sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben. Mathis schätzte, dass er vielleicht sechzehn Sommer zählte, ein erster Flaum spross um seine Lippen. Vermutlich hatte der Junge ihn mit Stolz getragen und versucht, die Mädchen damit zu beeindrucken, doch nun würde er ihnen nie wieder hinterherpfeifen. Sein kurzes Leben war vorbei, ehe es richtig begonnen hatte.
    Die beiden Männer neben dem Knaben waren um einiges älter. Ihre Hemden und Beinlinge waren schmutzig und zerrissen, das Haar stand ihnen wirr vom Kopf, und sie murmelten lautlose Gebete. Alle drei standen auf schiefen Leitern, die an einem von Sturm und Regen stark verwitterten Holzbalken lehnten. Der Queichhambacher Galgen war fest und massiv gebaut, seit vielen Jahrzehnten fanden hier die Hinrichtungen der Gegend statt. Und in letzter Zeit waren es mehr und mehr geworden. Die vergangenen Jahre hatten zu kalte Winter und zu trockene Sommer gebracht, die Pest und andere Seuchen waren über das Land gezogen. Hunger und die drückenden Abgaben hatten viele der Pfälzer Bauern in die Wälder getrieben, wo sie sich Räuberbanden und Wilderern anschlossen. Auch die drei dort vorne am Galgen waren auf frischer Tat beim Wildern erwischt worden, nun wurde die dafür vorgesehene Strafe an ihnen vollstreckt.
    Mathis hielt sich ein wenig abseits der gaffenden Menschenmenge, die sich an diesem verregneten Vormittag zur Hinrichtung versammelt hatte. Der Galgenhügel befand sich gut eine Viertelmeile entfernt vom Ort, jedoch nahe genug an der Straße nach Annweiler, dass Reisende ihn gut sehen konnten. Eigentlich hatte Mathis nur dem Queichhambacher Dorfvogt ein paar Hufeisen gebracht, die dieser bei Mathis’ Vater, dem Trifelser Burgschmied, bestellt hatte, doch auf dem Rückweg war er am Galgenhügel vorbeigekommen. Er wollte schon weitergehen – schließlich war heute sein freier Tag, und er hatte noch etwas Bestimmtes vor –, aber angesichts der vielen Menschen, die mit angespannten, verhärmten Gesichtern im eisigen Regen auf die Hinrichtung warteten, siegte die Neugierde. Also blieb er stehen und beobachtete den Schinderkarren, auf dem die drei Gefangenen der Hinrichtungsstätte entgegenfuhren.
    Mittlerweile hatte der Henker die Galgenleitern aufgestellt und die drei armen Sünder wie Schlachtvieh zum Balken hinauf­gezerrt, wo er einem nach dem anderen die Schlinge um den Hals legte. Als es schließlich so weit war, senkte sich ein tiefes Schweigen über die Menge, nur unterbrochen durch das gelegentliche Schluchzen des Jungen.
    Mit seinen siebzehn Jahren hatte Mathis bereits einige Hinrichtungen erlebt. Meist waren es Räuber oder Diebe gewesen, die gehenkt oder gerädert wurden, und die Leute hatten geklatscht und die zitternden Kreaturen noch am Schafott mit faulem Obst und Gemüse beworfen. Doch diesmal war es anders. Eine beinahe vibrierende Spannung lag in der Luft.
    Obwohl es bereits Mitte März war, fanden sich auf den umliegenden Äckern noch zahlreiche Schneefelder. Fröstelnd beobachtete Mathis, wie die Menge sich widerwillig teilte, als nun der Annweiler Stadtvogt Bernwart Gessler gemeinsam mit dem feisten Gemeindepfarrer Pater Johannes auf die Anhöhe zuschritt. Es war offensichtlich, dass die beiden Herren sich Besseres vorstellen konnten, als an einem verregneten, nasskalten Frühlingstag drei Galgenvögeln beim Baumeln zuzusehen. Mathis vermutete, dass sie gerade noch bei ein paar Gläsern Pfälzer Wein in einer warmen Annweiler Wirtsstube gesessen hatten, doch als herzoglicher
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher