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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige
Autoren: Oliver Pötzsch
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Stellvertreter war der Stadtvogt nun einmal für die hohe Gerichtsbarkeit in der Gegend zuständig, und nun galt es, Recht zu sprechen. Gessler stemmte sich gegen den Regen, der ihm in Böen ins Gesicht wehte, angestrengt hielt er sein schwarzsamtenes Barett fest, dann kletterte er auf den nunmehr leeren Schinderkarren.
    »Bürger von Annweiler!«, wandte er sich mit lauter, hochfahrender Stimme an die Umstehenden. »Diese drei Burschen sind der Wilderei überführt! Sie sind nicht mehr als Vagabunden und Räuber und haben das Recht auf Leben verwirkt. Ihr Tod sollte uns allen eine Mahnung sein, dass Gottes Zorn furchtbar, aber auch gerecht ist!«
    »Von wegen Räuber«, knurrte ein hagerer Bauer neben Mathis. »Den armen Schlucker ganz rechts kenn ich, das ist der Sammer Josef aus Gossersweiler. Ein ganz anständiger Knecht war das, doch dann konnte ihn sein Herr nicht mehr bezahlen, und er ist in die Wälder.« Er spuckte auf den Boden. »Was soll unsereins denn noch essen nach zwei verhagelten Ernten? Nicht einmal mehr Bucheckern gibt’s im Wald. Der ist so leer wie die Mitgifttruhe meiner Frau!«
    »Die Pacht haben sie uns auch schon wieder erhöht«, fiel ein zweiter Bauer brummend ein. »Und die Pfaffen leben in Saus und Braus, die kassieren trotz allem ihren Kirchenzehnten. Schaut nur, wie fett unser Pfarrer mittlerweile ist!«
    Soeben ging der wohlbeleibte Pater Johannes mit einem einfachen Holzkreuz hinüber zu den Galgenleitern. Unter jeder von ihnen blieb er stehen und sprach mit hoher, leiernder Stimme ein kurzes lateinisches Gebet. Doch die Verurteilten über ihm schienen bereits in einer anderen Welt, sie starrten ins Leere. Nur der Junge schluchzte noch immer herzerweichend. Es klang, als riefe er nach seiner Mutter, aber niemand in der Menge antwortete.
    »Kraft des mir vom Zweibrückener Herzog verliehenen Amtes befehle ich dem Scharfrichter, diese drei Missetäter ihrer gerechten Strafe zuzuführen!«, rief der Stadtvogt hinaus in die Menge. »Ihr Leben ist hiermit verwirkt!«
    Er zerbrach einen kleinen Holzstab, und der Queichhambacher Scharfrichter, ein stämmiger Mann mit weiten Landsknechtshosen, Leinenhemd und Augenbinde, zog dem ersten Delinquenten die Leiter unter den Füßen weg. Der Mann zappelte eine Weile, sein ganzer Körper schwang hin und her wie ein außer Kontrolle geratenes Uhrpendel, ein nasser Fleck breitete sich auf seiner Hose aus. Während seine Bewegungen schwächer wurden, zerrte der Henker bereits an der nächsten Leiter. Ein weiterer wilder Tanz setzte ein, als der zweite Mann am Seil baumelte. Als der Scharfrichter sich schließlich dem Knaben zuwandte, ging ein Raunen durch die Menge. Nicht nur Mathis war aufgefallen, wie jung der Bursche war.
    »Kinder! Ihr hängt Kinder!«, zeterte jemand. Mathis wandte sich um und sah eine verhärmte Frau, an deren Rockzipfeln zwei kleine rotznasige Mädchen hingen. Ein winziger Säugling schrie unter dem zusammengerollten Leinentuch, das sich die Frau auf den Rücken gebunden hatte. Sie schien nicht die Mutter des Jungen zu sein, trotzdem war ihr Gesicht rot vor Zorn und Entrüstung. »So was kann Gott nicht gewollt haben!«, schrie sie ihre Wut hinaus. »Kein gerechter Gott lässt so etwas zu!«
    Der Henker zögerte, als er merkte, wie unruhig die Zuschauer wurden. Mit erhobenen Händen wandte sich der Stadtvogt Bernwart Gessler an die Menge. »Er ist kein Kind mehr!«, schnarrte er mit befehlsgewohnter Stimme. »Er wusste, was er tat. Und nun wird er dafür seine Strafe erhalten, das ist nur gerecht! Oder gibt es hier jemanden, der das anzweifeln will?«
    Mathis wusste, dass der Vogt im Recht war. Schon Vierzehnjährige konnten in deutschen Landen gehenkt werden. Wenn sich die Richter über das Alter nicht sicher waren, wandten sie gelegentlich einen Trick an: Sie ließen den Knaben oder das Mädchen zwischen einem Apfel und einer Münze wählen. Nahm das Kind die Münze, galt es als schuldfähig – und wurde hingerichtet.
    Trotz der klaren Worte des Vogts ließen sich die Menschen neben Mathis nicht einschüchtern. Murrend scharten sie sich enger um den Galgenhügel. Der zweite Gehenkte zuckte noch ein wenig, während der erste bereits still im Wind hin und her pendelte. Zitternd, noch immer den Strick um den Hals, blickte der Knabe von der Leiter hinab auf den Henker, der wiederum zum Stadtvogt hinüberstarrte. Es war, als würde die Zeit einen Augenblick stillstehen.
    »Nieder mit den Ausbeutern! Nieder mit dem Zweibrückener
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