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Die Geishas des Captain Fishby

Die Geishas des Captain Fishby

Titel: Die Geishas des Captain Fishby
Autoren: Vern Sneider
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    Auf Okinawa war der entscheidende Tag,
wie aus den Kriegsdokumenten hervorgeht, der 1. April 1945. Und die
entscheidende Stunde 8 Uhr 30 vormittags. Aber für die von Oberst Wainright
Purdy III befehligte Gruppe C-147 des Hauptquartiers der Militärregierung war
jeder Tag der entscheidende und jeden Morgen 8 Uhr 30 die entscheidende Stunde.
    An einem Morgen, Anfang Juni, kurz
nach acht, faßte Major Thompson, der Sicherheitsoffizier der Gruppe C-147, nach
seiner Pistolentasche, die er um seine schmalen Hüften gebunden trug, um sich
zu vergewissern, ob sie auch an der richtigen Stelle saß, dann blickte er
nervös auf die Uhr. Da er sah, daß noch etwa zwanzig Minuten totzuschlagen
waren — zwanzig köstliche Minuten der Erholung, bevor die Probleme des Tages
sich auf seine nicht allzu starken Schultern legen würden — , nahm er einen
Schluck Kaffee und lächelte.
    „Ja, Herr Oberst“, sagte er, während
er aus dem Fenster der Offiziersmesse sah, „Sie haben es wirklich genau
getroffen. Den Nagel auf den Kopf getroffen. Das Wetter könnte nicht klarer
sein! Nicht das leiseste Anzeichen von Regen.“
    Die neun Offiziere, die rund um den
grobgezimmerten Tisch saßen, scharrten zustimmend. Und Oberst Purdy III
lächelte etwas von oben herab, wie jemand, der sich auf seine Unfehlbarkeit
einiges zugute tut.
    Natürlich war das Wetter heute ebenso
klar wie schon während des ganzen Monats, seit die Regenzeit auf Okinawa
vorüber war. Wer etwa behauptete, daß am nächsten Tage die Sonne scheinen
werde, mußte mit fast hundertprozentiger Sicherheit recht behalten. Trotzdem
spiegelte sich in Major Thompsons Augen so wie in den Augen der übrigen
Offiziere ehrliche Anerkennung.
    „Ja, Herr Oberst, Sie haben es
wirklich richtig getroffen“, wiederholte Major Thompson und nickte respektvoll.
Captain Blair, der Sanitätsoffizier, nickte auch. Oberleutnant McEvoy, der
Ingenieuroffizier, ebenfalls. Selbst der Soldat Gregovich, der zum Küchendienst
abkommandiert war und wie gebannt auf die noch glimmenden Zigaretten in den
Tellern starrte, die er nachher zu waschen hatte — selbst der nickte
überrascht.
    Es mußte jemand schon sehr einfältig
sein, wenn er in dieser Jahreszeit Regen für den nächsten Tag hätte Voraussagen
wollen. Und der Soldat Gregovich würde zehn Eide darauf geschworen haben, daß
Oberst Purdy, wie er ihn da jetzt so vor sich sah, nur auf Regen getippt hätte.
    Aber um der Gerechtigkeit willen muß
gesagt werden, daß Oberst Purdy schon immer eine bemerkenswerte Gabe im
Voraussagen von Ereignissen an den Tag gelegt hatte. Schon damals, 1924, als
Red Grange bei ihrem Spiel gegen eine starke Mannschaft aus Michigan bereits in
der ersten Viertelstunde vier Tore für sich buchen konnte, hatte Oberst Purdy
gleich behauptet, daß Red Grange sicherlich den Preis von Amerika gewinnen
würde. Nach dem Bankkrach von 1929 hatte er apodiktisch festgestellt, daß eine
Depression folgen müsse. Und an jenem schicksalschweren Tage, als die Japaner
Pearl Harbour überfielen, hatte er zu seiner Frau gemeint: „Das bedeutet
Krieg.“
    Seine Prophetengabe war tatsächlich so
bemerkenswert, daß sogar schon zu Anfang der zwanziger Jahre, als er noch das
College in Indiana besuchte, dort unter den Studenten das geflügelte Wort
umging: „Frag den alten Purdy, der weiß es.“ Und jetzt, 1945, auf Okinawa,
neigte der Oberst dazu, noch etwas anderes vorauszusagen, was gewiß eintreffen
würde. Diese Weisheit stammte zwar nicht von ihm. Mrs. Purdy hatte sie zuerst
im Dienstagsklub in Pottawattamie, Indiana, von sich gegeben. „Da Wainright
jetzt nach Übersee geht“, hatte sie in dem vertrauten kleinen Kreise von Damen,
die vornehm von ihrem Geflügelsalat nippten, geäußert, „möchte ich wetten, daß
er den silbernen Stern bekommt.“
    Diese Folgerung war verblüffend. Die
Zahl der Reserveobersten, die zum Generalmajor aufrückten, konnte man an den
Fingern einer Hand aufzählen. Von den Millionen Männern in der US-Armee hatten
nur einige wenige diesen Gipfel erklommen. Anfänglich war der Oberst etwas
skeptisch gewesen. Aber da hatte Mrs. Purdy gemeint: „Schließlich kommt es
dabei nur auf das Können und auf die Geschicklichkeit an, Wainright. Und du
mußt doch zugeben, daß du beides besitzt.“
    Solcher Logik konnte der Oberst nur
zustimmen. Von diesem Tage an war er ein Mann, der einen klarumrissenen Auftrag
in der Armee zu erfüllen hatte: er strebte nach den Sternen. Jetzt, an diesem
sonnigen
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