Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige
Autoren: Oliver Pötzsch
Vom Netzwerk:
immer zu verlieren.
    Gemeinsam mit dem kläffenden Puck rannte sie auf das etwa hundert Schritt entfernte Waldstück zu, in dem der aufgeschreckte Parcival verschwunden war. Dabei blickte sie sich immer wieder um, um den Ursprung des Lärms zu erkunden. Bis hin zum Städtchen Annweiler breiteten sich auf etwa einer halben Meile Felder und Gemüsegärten aus, auf denen noch zahlreiche Schneereste zu sehen waren; dahinter erhob sich im sanften Vormittagslicht der Burgberg, von Weinhängen und weiteren frisch gepflügten Feldern in einem breiten Kranz umgeben.
    Agnes überlegte. Hatte etwa der versoffene Trifelser Geschützmeister Ulrich Reichhart einen Schuss aus einem der drei noch verbliebenen Geschütze abgegeben? Doch Pulver war teuer. Außerdem war das Krachen eher aus der Gegenrichtung gekommen.
    Aus ebenjener Richtung, in die ihr Vogel geflogen war.
    »Parcival! Parcival!«
    Mit klopfendem Herzen rannte Agnes auf den dichten, mit Weißdornbüschen umgebenen Waldsaum zu. Erst jetzt fiel ihr noch etwas ein, was die Ursache für den Donner gewesen sein konnte. In letzter Zeit gab es immer wieder Gerüchte über Räuber in der Gegend. Die Ramburg, eines der vielen Raubritternester im Wasgau, lag nur wenige Meilen entfernt. Sollte deren Vogt, Hans von Wertingen, es tatsächlich gewagt haben, so nahe an der Burg ihres Vaters auf Raubzug zu gehen? Bislang hatte der verarmte Adlige nur die großen Maut­straßen unsicher gemacht, und auch das meist im Schutze der Dunkelheit. Doch vielleicht war der Hunger, und damit die Lust auf Raub und Mord, ja nun größer geworden?
    Am Waldrand angekommen, blieb Agnes vorsichtig stehen und sah sich erneut zu dem Städtchen um, hinter dem der Burgberg aufragte. Sicherlich wäre es vernünftiger, zum Trifels hinaufzulaufen, um ihren Vater vor einem möglichen Angriff zu warnen. Doch dann würde sie ihren Parcival vermutlich nie wiederfinden. Auch abgerichtete Falken blieben scheue Tiere. Die Gefahr war groß, dass der Vogel für immer in der Wildnis verschwand.
    Schließlich gab sie sich einen Ruck und rannte zwischen den borkigen Stämmen hinein in den Eichenwald. Sofort umfing sie dämmriges Licht, die dichten Zweige, an denen bereits die ersten Triebe und Blüten zu sehen waren, ließen die Sonne kaum durch. Im Herbst holten die Annweiler Gerber in diesem Waldabschnitt die Rinde für ihre Gerblohe, doch um diese Jahreszeit war er wie ausgestorben. Holzsammler hatten den vereisten Boden noch vor wenigen Wochen nach Winterreisig und Eicheln abgesucht, und der Wald war wie leergefegt. Agnes war froh, dass wenigstens Puck sie begleitete, auch wenn der kleine Dachshund im Falle eines Überfalls ­sicher keine große Hilfe war. Das Knacken der wenigen Äste und Zweige, auf die sie trat, klang wie das Brechen morscher Knochen.
    Immer tiefer marschierte sie in den dunklen Wald hinein. An schnelles Laufen war nun nicht mehr zu denken, oft versperrten ihr sumpfige Erdwälle und stachliges Weißdorn­dickicht den Weg. Einmal mehr schätzte sich Agnes glücklich, dass sie für die Falkenbeize ihr braunes Lederwams angezogen hatte und nicht das lange Kleid aus Barchent, das ihr Vater so liebte. Die Dornen hätten das teure Kleidungsstück längst zerrissen. In Agnes’ blonden, immer etwas ungekämmten Haaren hingen Kletten und kleine Zweige; Dornen zerkratzten ihr das sommersprossige Gesicht.
    »Parcival?«, rief sie ein weiteres Mal. Doch außer dem zornigen Tschilpen einiger Amseln war nichts zu hören. Die Stille des Waldes, die sie sonst so liebte, kam ihr mit einem Mal bedrückend vor. Wie eine dicke, alles erstickende Decke schien das Schweigen auf ihr zu liegen.
    Plötzlich hörte sie von rechts ein vertrautes Krächzen. Agnes atmete erleichtert auf. Es war ganz eindeutig Parcival, der nach ihr lahnte! Junge Greifvögel taten dies oft, wenn sie um Futter bettelten. Manchmal konnte das Lahnen eine echte Plage sein, doch heute klang es für Agnes so wohltönend wie das Spiel einer Laute. Auch die Bell vernahm sie nun, jenes Glöckchen, das am Fuß des jagenden Falken hing und den Falkner zu ihm führte.
    Agnes eilte in die Richtung, aus der das Krächzen und Klingeln gekommen waren, und vor ihr tat sich eine Waldlichtung auf. Im schräg einfallenden Sonnenlicht erblickte sie eine mit Efeu überwucherte Ruine aus Sandstein, die wohl einst ein Wachturm gewesen war. Erst jetzt erinnerte sie sich, dass sie die Stelle kannte. Türme dieser Art gab es rund um den Trifels viele, die Gegend war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher