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Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)

Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Frank Schmitter
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1
    In wenigen Sekunden war die Polizistin nackt. Die blaue Uniform mit dem eng sitzenden Rock über den schlanken Beinen löste sich auf, Zentimeter für Zentimeter, von oben nach unten, und entblößte eine junge Frau mit Löwenmähne, schmaler Taille und ausgeprägten sekundären Geschlechtsmerkmalen. Die Arme verschränkte sie über dem Kopf, das linke Bein züchtig angehoben, um die Scham zu verdecken.
    Gerald van Loren drehte den Scherz-Kugelschreiber um, verhalf der Dame damit wieder zu einem schicklichen Aussehen und übergab den Stift seinem Besitzer, Hauptkommissar Batzko.
    »Gab es noch weitere kulturelle Höhepunkte auf der Tagung in Paris?«
    Sein Kollege nahm den Kugelschreiber an sich.
    »Soll ich dir ein paar weibliche französische Vornamen aufzählen?« Batzko lehnte sich zurück, verschränkte die Arme hinter seinem breiten Nacken und grinste, sein Bizeps drohte die Nähte des Kurzarmhemdes zu sprengen. Seine Nackenmuskulatur war so ausgebildet, dass man ein Hochhaus darauf hätte absetzen können.
    »Verzichte, du Angeber.«
    Batzko zwinkerte ihm zu. Er hatte sich erst vor zwei Tagen rasiert, aber sein intensiver, pechschwarzer Bartwuchs hatte bereits eine dichte Matte entstehen lassen, die einen imposanten Kontrast zum glattrasierten Schädel bildete.
    »Dachte ich mir. Apropos Frauen und Verzicht: Hast du deinen Kleinen am Wochenende gesehen?«
    Gerald schüttelte den Kopf und fühlte, wie sich sein Magen augenblicklich vor Wut und Enttäuschung zusammenkrampfte. Sein Blick wanderte zum Fenster.
    »Nele hat zwei Stunden vor meiner Abfahrt angerufen und gesagt, dass er Fieber hat und absolute Ruhe braucht.«
    »Das ist in den letzten zwei Monaten dreimal passiert. Oder täusche ich mich?«
    »Du täuschst dich nicht.«
    Batzko klopfte mit dem Kugelschreiber auf den Schreibtisch. »Du weißt, dass du dir nicht alles gefallen lassen musst von einer Frau, die sich auf einem idiotischen Ego-Trip befindet?«
    »Und was soll ich deiner Meinung nach tun?« Gerald wurde wütend. »Wenn ich zum Jugendamt oder zum Rechtsanwalt gehe, wird unsere Beziehung nur noch komplizierter, und ich würde Severin am Ende gar nicht mehr sehen.«
    Batzko schwieg. Er zog die Unterlagen der Tagung über internationale Kriminalität in Paris aus seiner Aktentasche und platzierte sie so, dass jeder Kollege, der das Zimmer betrat, sie unweigerlich sehen musste. Viele aus ihrem Dezernat hätten gerne daran teilgenommen, und Batzko war schließlich einer der wenigen gewesen, die den Polizeipräsidenten hatten begleiten dürfen.
    »In meinen Augen ist Nachgiebigkeit eine Form der Dummheit«, sagte er, ohne Gerald anzusehen, und ließ die Tasche wieder hinter seinem Schreibtisch verschwinden.
    Gerald antwortete nicht. Es ging ihm nicht darum, seine Rechte durchzusetzen, er wollte nach über vier Monaten der Trennung endlich wieder seine Frau und seinen Sohn zurückhaben, hier in München, in ihrer gemeinsamen Wohnung. Doch er spürte auch, wie sich langsam der Hass in ihm regte, Hass auf Nele, weil sie ihren gemeinsamen Sohn von ihm fernhielt.
    Gerald stand unvermittelt auf und stellte sich an das breite Fenster in ihrem Büro. Es war ein heißer Tag Ende August. Nachdem sich gestern gegen Mitternacht ein heftiges Gewitter über München entladen hatte, zeigte der Himmel heute sein strahlendes Blau. Gerald dachte an die dreistellige Zahl an Überstunden, die sich an einem Tag wie diesem am besten in einem Biergarten reduzieren ließe. Er musste nur verhindern, dass Batzko mitkam; Gerald war nicht in der Stimmung für Geschichten aus dem Pariser Nachtleben.
    Batzkos Telefon klingelte. Offensichtlich der Anruf eines Kollegen, denn er lehnte sich während des Gesprächs entspannt zurück, ließ Andeutungen über seine Dienstreise fallen, wurde dann augenblicklich ernst, hörte aufmerksam zu und nahm einen Stift, ohne sich allerdings Notizen zu machen. Schließlich beendete er das Telefonat: »Beim nächsten Mal wieder eine schöne Leiche, abgemacht?«
    Er ließ den Hörer auf das Telefon knallen und wendete sich seinem Kollegen zu. »Die Jungs vom Kriminaldauerdienst haben möglicherweise etwas für uns. Ist aber extrem unsympathisch, eine Montagsleiche eben. Männlich, ungefähr fünfzig Jahre alt, keine Ausweise oder sonst etwas, mit dem man ihn identifizieren könnte. Der Kleidung nach zu urteilen ein Obdachloser, aufgefunden im Grünstreifen zwischen der Isar und dem Oertlinweg, also am nördlichen Teil des Flauchers. Nach der
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