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137 - Der trojanische Barbar

137 - Der trojanische Barbar

Titel: 137 - Der trojanische Barbar
Autoren: Michael M. Thurner
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Gu’hal’oori hatte die Verursacherin der Spukgestalten geheißen. Jene Daa’murin, die ihn wochen-, ja monatelang Dinge hatte tun lassen, die den Menschen und ihren Verbündeten schadeten.
    Rulfan hielt die Hände über das Feuer gestreckt. Es war kalt in den langen Nächten des Endwinters. Auch die Felle der beiden Wisaaun, die er vor wenigen Tagen erlegt hatte, schützten nur notdürftig. Denn da war noch jene innere Kälte…
    Ein Wimmern und Fiepen ertönte, und kurz zuckte er zusammen.
    »Ist schon gut, meine Kleine«, murmelte er schließlich. Er griff in den steifgefrorenen Fellsack und streichelte sanft über den Rücken des faustgroßen Etwas, das sich darin befand.
    Kleine und dennoch scharfe Zähnchen verbissen sich in seinem Zeigefinger. Er ignorierte den leisen Schmerz und kraulte weiter, bis das Wimmern nachließ.
    Erstmals an diesem Tag, an dem er sich mit leerem, knurrenden Magen in die Schlaffelle verkriechen musste, überkam ihn ein wohliges Gefühl.
    Das Gefühl, gebraucht zu werden.
    Rulfan seufzte und warf weitere Äste in das Feuer, das nach menschlichem Ermessen die Nachträuber dieser Gegend von ihm fernhalten würde. Dann rollte er sich zusammen, so gut es ging. Er schloss die Augen. Und vertrieb die Geister und Gespenster aus seinem Kopf mittels der einzigen Methode, die er bislang gefunden hatte. Er erinnerte sich…
    1. Überleben
    Januar 2521, Bunker Salisbury
    »Kommt mir nicht zu nahe!«, rief er und schwang die eben erst erbeutete Strahlenwaffe im Halbkreis.
    Die Kucholsky trat vor, wollte wohl an seine Vernunft plädieren: »Rulfan, wir können…«
    »Nein! Es ist zu spät! Ich…« Er brach ab, blickte die Bunkermenschen nacheinander an.
    Wie sie angespannt dastanden. Ihn lauernd betrachteten.
    Nach Spuren der daa’murischen Beeinflussung suchten.
    Misstrauisch, alarmiert… und verächtlich.
    Rulfan nickte Eve Neuf-Deville kurz zu. Er heischte um Verständnis, das, wenn überhaupt, nur sie aufzubringen vermochte. Dann drehte er sich um, lief mit schweren Schritten davon, ignorierte die Rufe seines Vaters und der anderen.
    Hinein in den winterlichen Eichenwald, hinein in die Dämmerung.
    Eine Zeitlang noch hörte er Geschrei und Flüche hinter sich her hallen. Dann verstummten die Schreie, wurden abgelöst vom leisen Brummen mechanischer Aggregate.
    X-Quads waren ausgeschwärmt und suchten nach ihm, höchstwahrscheinlich mit Infrarot-Detektoren ausgestattet.
    Rulfan lachte kurz auf und hastete dann weiter durch den Wald, bergauf und bergab. Die vom Bunkerleben verweichlichten Männer und Frauen würden es zu dieser späten Tageszeit nicht mehr wagen, ihm hierher zu Fuß zu folgen. Zu dicht stand Baum an Baum, zu dunkel war es bereits geworden.
    Er hörte – und spürte –, wie sich ein EWAT über den Wipfeln der Eichenbäume näherte. Hastig warf er sich zu Boden, grub sich in eine Schneeverwehung, krümmte sich so weit es ging zusammen. Die Infrarotortung des Fluggerätes würde kaum etwas anmessen. Bestenfalls ein kleineres Wärmebild, das ein im Winterschlaf befindliches Tier vermuten ließ.
    Der Albino wartete, bis das sanfte, ihm so sehr vertraute Brummen des EWATs verklang, dann befreite er sich aus dem Schneehaufen und hetzte weiter.
    Nach einer halben Stunde kräfteraubenden Trabs hielt er inne und lauschte.
    Es herrschte Ruhe.
    Nicht dieselbe Stille wie des Nachts im Bunker von Salisbury, wenn die Technos schliefen.
    Dies hier war die Ruhe des nächtlichen Waldes. Da und dort rieselten ein paar Schneeflanken von schweren Zweigen, ab und zu war das Trapsen eines nachtaktiven Tiers zu vernehmen, und wenn er sich konzentrierte, konnte Rulfan das Bohren und Nagen der Bookenwürmer hören, die sich durch das Innere abgestorbener Bäume fraßen.
    Und genau dieses vertraute Geräusch hatte er gesucht! Er drehte sich im Kreis, bestimmte die ungefähre Richtung und stapfte dann auf eine kleine Gruppe silbern schimmernder Nadelbäume zu.
    Das Nagen der Bookenwürmer wurde lauter; er war auf der richtigen Spur.
    Sanft klopfte er das halbe Dutzend Eschtannen ab. Ihre Stämme waren breit und knorrig, sie ragten mindestens zehn Meter in die Höhe. Zwei von ihnen waren hohl. Die Borke zerbröselte zwischen seinen Fingern.
    Er hatte gefunden, was er für diese erste Nacht in freier Natur benötigte. Müde blickte Rulfan an sich hinab. Er besaß nichts außer dem, was er am Leibe trug. Da waren wie immer die grauen, abgewetzten Schnürstiefel, überlappt von der speckigen
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