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137 - Der trojanische Barbar

137 - Der trojanische Barbar

Titel: 137 - Der trojanische Barbar
Autoren: Michael M. Thurner
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erwachte frühmorgens, gestört von einem Knistern, das von draußen herein drang – und von ungewohntem Geruch.
    Tofanenschnaps!
    Er hielt die Augen geschlossen und atmete ruhig weiter, während er millimeterweise nach der Laserwaffe unter seiner Jacke tastete.
    Er roch nicht nur, nein er spürte auch die Anwesenheit des Anderen. Er musste durch den schmalen Spalt gekrochen sein, den Rulfan mit Klumpen gefrorener Erde notdürftig verdeckt hatte.
    Jedermann, der in Zeiten wie diesen die Intimität eines anderen störte, galt als Feind. Und auf Feinde schoss man, schon um des Überlebens willen, bevor man Fragen zu stellen begann.
    »Nur die Ruhe, Blasser!«, sagte eine kratzige Stimme hinter ihm. »Du kannst die Waffe liegenlassen. Ich werde dir nichts tun – wenn du vernünftig bleibst.«
    Verdammt – hatte er sich tatsächlich überrumpeln lassen!
    Nun war er auf das Gutdünken des Unbekannten angewiesen.
    Diese Rolle behagte Rulfan überhaupt nicht.
    Vorsichtig und langsam drehte er sich um. Auf den ersten Blick war nichts zu sehen. Lediglich das Leuchten einer Kiffette, das sofort die Erinnerung an Eve Neuf-Deville in ihm weckte.
    Rulfan kniff die Augen zusammen, blinzelte und setzte sich steif auf, den Rücken an die seitliche Platte gepresst.
    Säuerliches Odeur strömte ihm entgegen. Natürlicher Mundgeruch, gemischt mit einem heftigen Hauch von Schnaps.
    »Auch ‘nen Schluck?«, fragte der andere, während er ansetzte und gluckernd trank.
    »Gern«, antwortete Rulfan. Vielleicht war es sein letzter Tropfen Alkohol.
    Die Flasche landete auf seinem Schoß. Er entkorkte sie und zog kräftig an.
    Ein großer Fehler.
    Sofort spuckte er aus, röchelte, hustete, rieb sich die tränenden Augen, wollte aufstehen, stieß sich den Kopf an der niedrigen Steindecke, fiel schwer zu Boden, prellte sich den Steiß.
    »Eine beeindruckende Vorstellung«, sagte sein Besucher mit nach wie vor ruhiger Stimme.
    Es dauerte Minuten, bis Rulfan wieder klar denken und sich aus der verkrümmten Liegestellung hochrappeln konnte. »Mit einer Kugel könntest du mich leichter töten«, krächzte er.
    »Mach dir nicht ins Hemd, Junge.« Der Mann rülpste. »Das ist bloß selbst gebranntes Weihwasser.«
    Weihwasser!
    Ein Rev’rend!
    Rulfan wusste einiges über diese mysteriösen Männer, die durch die Welt streiften und den Namen des einen Gottes verbreiteten. Mit viel Überzeugungskraft und Methoden, die in zivilisierteren Zeiten als Folter, Mord und Totschlag bezeichnet worden wären.
    »Was treibt einen Mann Gottes in diese einsame Gegend?«, fragte er heiser.
    »Nun – so einsam kann es wohl nicht sein, wenn ich dich finden konnte«, hielt ihm der Rev’rend entgegen. »Ich spüre und rieche verlorene Seelen. Und du bist einer dieser Unglücklichen.«
    Beunruhigt fuhr sich Rulfan durch die langen Haare. Was wusste der Mann von ihm? Was sah der Rev’rend wirklich?
    War seine Verwirrung und Verzweiflung so offensichtlich?
    Langsam sagte er: »Mir geht es gut…«
    »Und deswegen versteckst du dich hier, in einem heidnischen Grab, vor deinesgleichen?«, unterbrach ihn der Rev’rend und lachte im nächsten Moment. »Dich selbst kannst du vielleicht belügen – aber nicht mich!«
    Der Glimmstängel leuchtete auf, erhellte für wenige Momente das Gesicht des Mannes. Es war kantig, von einem präzise gestutzten Wangen- und Kinnbart geprägt. Die Augen waren dunkel und stechend, der Nasenbogen von einer schlecht verheilten Narbe unterbrochen.
    »Ich bin Rev’rend Thorn«, sagte er und hustete. »Ich reise im Namen des Herrn.«
    »Wie hast du mich gefunden?«, fragte Rulfan.
    Sollte er Tageslicht hereinlassen? Er fühlte sich unwohl, solange er sein Gegenüber nicht sehen konnte.
    »Du hast mich gefunden«, behauptete der Rev’rend.
    »Unsinn!«, empörte sich der Albino. »Ich bin gerade erst der menschlichen Gesellschaft entflohen, um… hm, um mit mir selbst ins Reine zu kommen.«
    »Das sagst du!« Die Kiffette leuchtete erneut auf. Der Blick aus den kohlenschwarzen Augen schien ihn durchbohren zu wollen. »Du läufst nicht vor etwas davon, sondern du suchst etwas.«
    Das Gespräch ging in eine Richtung, die Rulfan ganz und gar nicht behagte. Die ganze Situation, die Umstände… alles war abstrus und verwirrend.
    »Ich kann dir auch sagen, was du zu finden hoffst«, fuhr der Rev’rend fort.
    »Und was soll das sein?«, fuhr ihn Rulfan wütend an.
    »Absolution, mein Bester!« Thorn grunzte. »Jemand, der dir die Schuld abnimmt,
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