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Quadriga: Kriminalroman (German Edition)

Quadriga: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Quadriga: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Gerhard Loibelsberger
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Prolog
     
    Signor Cecchetti
war müde. Trotzdem wieselte der alte Mann von Nachbar zu Nachbar, kreuz und quer
durch den Dorsoduro. Ein von Angst Getriebener? Nein. Es war Panik. Sie ließ ihn
nachts nicht schlafen, und untertags trieb sie ihn vor sich her. Von einem Caffè
zur benachbarten Bar, von der Bar zur nächsten Osteria, von der Osteria zu Bekannten,
von Bekannten zu einer Trattoria. Weiter, immer weiter und weiter. Seine Füße schmerzten.
Doch was war das schon gegen den Schmerz der Seele? Sein ganzes Leben lang war er
stolz und zurückhaltend gewesen. Ein Mensch, der am liebsten mit sich selbst allein
war. Doch jetzt, auf seine alten Tage, musste er hinaus. Zu den Menschen, zu den
Nachbarn, zu den Bekannten und auch zu Unbekannten. Wie ein Hamster im Rad lief
er, gekleidet in seinen grauen Arbeitsmantel, der wie immer frisch gewaschen und
tadellos gebügelt war, durch das Viertel Dorsoduro. Er besuchte selbst solche Leute,
mit denen er vor Jahren das letzte Mal Kontakt gehabt hatte. Getrieben von unermesslicher
Angst. Immer das Bild von Giulietta vor Augen. Wie sie in einem kahlen Raum unter
einem kalten, unbarmherzig flackernden Licht saß und ihn anflehte. Mit vor Entsetzen
irrem Blick und zerschlagenem Gesicht. Wie sie dasaß und stammelnd einen ihr vorgehaltenen
Text las. Dieses Bild hatte sich unauslöschlich in ihm eingebrannt. Als sie mit
dem Text fertig gewesen war, hatte sie in die Kamera geblickt und geflüstert: »Aiuto!
Papà … aiutami! [1] «
     
    Dieses Video, das man ihm auf einer
DVD zugespielt hatte, war die Ursache seiner Panik. Genau so, wie es die Entführer
seiner Tochter gefordert hatten, rannte er im ganzen Viertel herum und erzählte
es allen. Dass er nämlich so bald wie möglich verreisen und seine Tochter, sein
einziges Kind, dringend in den USA besuchen müsse. Seine einzige Tochter, die vor
ein paar Jahren ausgewandert war. Circa ein Vierteljahr würde er fort sein. Deshalb
hatte er einen Vertreter gesucht und auch gefunden. Dieser würde seine Rahmenmacher-
und Vergolderwerkstatt während seiner Abwesenheit führen.
     
    Drei Tage war er nun schon unterwegs
gewesen. Als er am Abend des dritten Tages mit vor Erschöpfung zitternden Händen
das Tor seines Hauses aufsperrte und die steile Treppe, die neben seiner Werkstatt
zur Wohnung emporführt, hinaufstieg, war er völlig fertig. Oben angekommen machte
er Licht und ließ sich erschöpft auf einen Küchenstuhl fallen. Nachdem er minutenlang
so verharrt hatte, stand er auf, schlurfte zum Vorratsschrank, nahm eine Flasche
Grappa heraus, setzte an und machte einen langen Schluck. Dann ging er zu dem Stuhl
zurück, stellte die Flasche auf den Küchentisch und begann hemmungslos zu weinen.
Der Schwall seiner Tränen überflutete die Gläser der Brille. Er nahm sie ab und
als er sie auf den Küchentisch legte, hörte er plötzlich ein Knirschen hinter sich.
Gänsehaut. Eiskaltes Prickeln. Schauder. Aufstehen. Bleischwere Glieder. Atem im
Genick. Kräftige Hände links und rechts am Hals. Stahlharter Griff. Luft!
    »Aiuto!«
    Wild
rudernde Arme. Klirrend zerschellte die Grappaflasche. Würgen. Röcheln. Alles dunkel.
Dunkel. Dunkel. Und aus weiter Ferne eine Stimme:
    »Cecchetti,
il tuo sostituto è qui … [2] «

Ti amo

Eins
     
    Der Asiate riss den Mund auf. Er
stieß heisere Schreie aus und gestikulierte wild. Eine Gruppe weiterer Asiaten drängte
sich lärmend an das Geländer des Ponte dell’Accademia und deutete ins trübe Wasser
des Canal Grande. Andere Touristen blieben stehen, ein fleischiger Amerikaner in
Hawaiihemd, Shorts und Sandalen rief: »O my god!« Ein Gondoliere stand mit einem
Kollegen am Ankerplatz neben der Brücke und hielt ein Vormittagsschwätzchen. Neugierig
geworden ging er mit federnden Schritten die Steinstiegen hinunter zum Kanal. Als
er entdeckte, was all die Gaffer anstarrten, fischte er aus seiner weiten, weißen
Hose ein Handy, wählte hektisch und gab einen Schwall Sätze in venezianischem Dialekt
von sich. Dabei zuckte sein freier Arm hektisch durch die Luft. Sein Kollege hörte,
was er sagte, und sprintete nun ebenfalls über die ausgetretenen Steinstufen hinunter.
Die beiden Gondolieri sprangen in eine der Gondeln. Während der eine heftig rudernd
das Boot unter dem Ponte dell’Accademia durchführte, saß der andere im vorderen
Gondelteil und starrte angestrengt auf das Wasser. Mittlerweile hatte sich eine
dichte Menschenmenge auf der Brücke versammelt. Passanten, die keine Zeit oder
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