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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige
Autoren: Oliver Pötzsch
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sich Agnes, er wäre tatsächlich ein verzauberter Prinz.
    Puck hatte inzwischen einen neuen Schwarm Krähen in dem frisch bestellten Feld aufgestöbert, und der Falke schwang sich zu einer weiteren Jagd in die Lüfte. Der Regen hatte nun aufgehört, der Wind die niedrig hängenden Wolken vertrieben, und so konnte Agnes den Flug ihres Vogels in seiner ganzen Pracht bewundern.
    »An die Arbeit, Faulpelz!«, rief sie ihm hinterher. »Für jede Krähe bekommst du ein Stück saftiges Fleisch – versprochen!«
    Während Agnes dem Falken dabei zusah, wie er sich immer höher in den Himmel schraubte, überlegte sie, wie die Erde von dort oben wohl aussah – die Burg ihres Vaters auf dem gegenüberliegenden Sonnenberg, die sich auf einem Sandsteinfelsen zwischen Buchen, Kastanienbäumen und ­Eichen erhob, der Wasgau, dieses riesige Pfälzer Waldgebiet mit seinen unzähligen grünen Hügeln, der berühmte Speyerer Dom, der viele Meilen von hier den Mittelpunkt jener Welt markierte, die Agnes kannte. Als Kind hatte der Vater sie einmal in die ferne Stadt mitgenommen, doch die Erin­nerung daran war längst verblasst. Seitdem Agnes denken konnte, waren die ehemalige Reichsburg Trifels, das darunterliegende Städtchen Annweiler, die Dörfer Queichhambach und Albersweiler, ja die ganze Wildnis ringsumher ihr Spielplatz. Auch wenn der Burgvogt Philipp Schlüchterer von Erfenstein es nicht gern sah, dass seine sechzehnjährige Tochter in den Wäldern, Auen und Sümpfen umherstromerte, nutzte Agnes doch jede freie Stunde, um mit ihrem Hund Puck und dem Falken fern von der Burg zu sein, die ihr oft zu klamm und zu einsam war. Gerade jetzt, da der Winter zu Ende ging, war es auf dem Trifels noch lausig kalt, während sich unten im Tal bereits die ersten Triebe zeigten.
    Der Falke hatte mittlerweile wieder die nötige Höhe von fast dreihundert Fuß erreicht. Wie ein Blitz fuhr er hernieder in den Schwarm Krähen, die laut krächzend auseinanderstoben. Doch diesmal waren sie ihm alle entkommen. Nur wenige Meter über dem Boden fing sich der kleine Raubvogel ab und schraubte sich ein weiteres Mal hinauf, um erneut zuzustoßen. Der Schwarm wogte gleich einer schwarzen Wolke über den gepflügten Äckern.
    Agnes hatte den braun-weiß gesprenkelten Sakerfalken als Nestling von ihrem Vater geschenkt bekommen und ohne fremde Hilfe in monatelanger Arbeit abgerichtet. Parcival war ihr ganzer Stolz, und selbst ihr sonst so mürrischer Vater musste zugeben, dass sie ihre Sache gut gemacht hatte. Die Annweiler Bauern hatten ihn, den Burgvogt von Trifels, erst letzte Woche gebeten, Agnes möge doch mit ihrem Falken die Krähen auf den städtischen Feldern jagen. In diesem Jahr waren die schwarzen Rabenvögel, die Agnes mit ihren hinterhältigen Blicken an verzauberte böse Menschen denken ließen, eine echte Plage; sie fraßen das letzte bisschen Saat und vertrieben die Lerchen, Buchfinken und Amseln, die den ­armen Leuten oft als einzige Fleischmahlzeit dienten.
    Eben hatte Parcival eine weitere Krähe geschlagen; in­einander verhakt trudelten sie auf das Feld zu, und Agnes lief ihnen entgegen, um ihren heißgeliebten Falken vor möglichen Angriffen zu schützen. Krähen waren schlaue Tiere, oft gingen sie gemeinsam auf einen Raubvogel los, um ihm den Gar­aus zu machen. Auch jetzt näherte sich der schwarze Schwarm bedrohlich, und Agnes spürte, wie Zorn in ihr aufstieg, ganz so, als müsste sie ihr eigenes Kind beschützen. Sie warf ein paar Steine, und die Vögel drehten krächzend ab.
    Erleichtert lockte Agnes Parcival ein weiteres Mal mit der angenagten Hühnerkeule. Die tote Krähe wollte sie als ­Abschreckung für die übrigen auf dem Feld liegen lassen; es war bereits die siebte, die der Falke heute erlegt hatte.
    »Komm schon, mein Kleiner. Das hier schmeckt viel besser, glaub mir.«
    Parcival hielt mit dem Picken inne und schlug aufgeregt mit den Flügeln. Doch gerade als der Falke auf ihrem Handschuh landen wollte, erschütterte plötzlich ein gewaltiger Donner das Tal. Der Vogel machte kehrt und flog auf den nahe gelegenen Wald zu.
    »Parcival, verflixt, bleib hier! Was soll das?«
    Ahnungsvoll schaute Agnes nach oben, ob sich ein Gewitter ankündigte, doch der Himmel war nirgendwo schwarz, nur grau und verhangen. Überhaupt war es jetzt im März für ein Sommergewitter noch viel zu früh. Was also mochte dieses Donnern zu bedeuten haben? Egal, was es war – es hatte ihren Vogel so verstört, dass Agnes Gefahr lief, ihn für
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