Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Entscheidung in Gretna Green

Entscheidung in Gretna Green

Titel: Entscheidung in Gretna Green
Autoren: DEBORAH HALE
Vom Netzwerk:
1. KAPITEL
    Bath, England
    Mai 1815
    „Felicity!“
    Eine tiefe Männerstimme dröhnte durch das Treppenhaus ihrer Villa in Bath und weckte Lady Felicity Lyte aus unruhigem Schlaf.
    Es musste bereits nach Mitternacht sein. Was in aller Welt hatte Hawthorn zu dieser späten Stunde hier zu suchen?
    Wobei Mr. Hawthorn Greenwood beileibe kein Fremder im Royal Crescent Nummer 18 war. Im Gegenteil, erst vor zwei Nächten hatte er um diese Zeit in Felicitys Armen und ihrem Bett gelegen. Gewiss ohne zu ahnen, dass seine Tage als ihr Liebhaber gezählt waren.
    Seit sie ihm kurz darauf in einer knappen Notiz mitgeteilt hatte, dass ihre heimliche Liebesaffäre beendet war, hatte sie nichts von ihm gehört.
    Erneut brüllte Hawthorn ihren Namen, seine Schritte polterten die Treppe herauf. Mit flatterndem Puls warf Felicity die Bettdecke zurück und griff nach ihrem Hausgewand.
    Nie zuvor hatte er in ihrer Gegenwart die Stimme erhoben oder sich schneller als gemessenen Schrittes bewegt. Umso erstaunlicher war sein stürmischer Auftritt an diesem Morgen.
    Vermutlich hat er zu viel getrunken, schoss es ihr durch den Sinn, während sie hastig in die Ärmel ihres seidenen Hauskleides schlüpfte und im Dunkeln nach den Bändern tastete. Hatte er sich etwa in einem der eleganten Herren clubs Mut angetrunken, bevor er in ihr Haus eindrang? Forderte er nun eine Erklärung, weshalb sie ihm so plötzlich den Laufpass gegeben hatte? Oder wollte er sie sogar zurückerobern?
    Dieser Gedanke löste ein seltsames Kribbeln in ihrer Magengegend aus, als stünde sie auf einem Felsvorsprung, einen schwindelerregend tiefen Abgrund vor sich.
    Sosehr sie es sich auch wünschen mochte, sie durfte die Liebesbeziehung mit ihm nicht fortsetzen und durfte auch nicht wagen, ihm den wahren Grund dafür zu nennen.
    Im selben Moment, als der heranstürmende Hawthorn zum Stehen kam, riss sie die Schlafzimmertür auf. Erleichtert stellte sie fest, dass er nicht nach Alkohol stank, ein Geruch, den sie von ihrem verstorbenen Ehemann nur zu gut kannte.
    Sein Äußeres allerdings war derart zerzaust, dass Felicity doch zweifeln musste, ob er nüchtern war. Im schwachen Schein der Flurbeleuchtung stand er ohne Hut vor ihr, das dunkle Haar hing ihm wirr in die Stirn, sein Frack war nicht zugeknöpft, und der sonst so gelassene Blick seiner braunen Augen flackerte unstet.
    Als er so vor ihr stand, hochgewachsen und breitschultrig, hatte sie Mühe, seiner Anziehungskraft nicht zu erliegen und ihm in die Arme zu sinken.
    Wäre er nur zu einem anderen Zeitpunkt gekommen, nicht zu dieser späten Stunde – nicht ausgerechnet bis zur Schwelle ihres Schlafzimmers, in dem sie sich so oft geliebt hatten, sie wäre ihrem Wunsch wohl erlegen.
    Schon bei dem Gedanken an seine Zärtlichkeiten stieg Hitze in ihr auf, ihre Beine trugen sie kaum noch, so überwältigend war die plötzliche Macht ihres Begehrens.
    Wäre Hawthorn in diesem Augenblick vor ihr auf die Knie gesunken, hätte er sein Gesicht an ihren Busen gepresst, seine großen, kräftigen Hände um ihre Hüften gelegt und um eine letzte gemeinsame Nacht gebeten, nichts und niemand hätten Felicity zu einer Ablehnung zwingen können.
    „Ist Ivy bei Ihnen?“, fragte er schroff.
    Diese Frage entsprach so wenig ihrem heimlichen Sehnen, dass Felicity im ersten Moment Mühe hatte, ihren Sinn zu begreifen.
    „Ivy? Ihre … Schwester?“
    „Wer denn sonst? Natürlich meine Schwester.“ Hawthorns scharfer Ton traf sie in ihrem bebenden Verlangen wie ein Schlag ins Gesicht. „Warum sollte ich sonst mitten in der Nacht in Ihr Haus eindringen?“
    Felicitys bange Hoffnung zerplatzte wie eine Seifenblase. „Was in Gottes Namen hätte Ihre Schwester mitten in der Nacht in meinem Haus zu suchen? Falls dies ein plumper Vorwand ist, mit dem Sie mich umzustimmen versuchen, werden Sie es bereuen, Mr. Greenwood, das können Sie mir glauben.“
    „Und Sie, Lady Lyte, können mir glauben, dass mich nur die Sorge um den guten Ruf meiner Schwester dazu zwingt, ein Haus zu betreten, in dem ich nicht länger willkommen bin.“ Im schwachen Lichtschein konnte sie sehen, wie seine Mundwinkel zitterten. „Und die Frage, warum ich Ivy in Ihrem Haus vermute, sollten Sie Ihrem Neffen stellen, diesem verantwortungslosen Verführer.“
    Jedes seiner Worte war wie ein kalter Wasserguss auf Felicitys fiebernde Leidenschaft. Schlimm genug, dass Hawthorn Greenwood nachts in ihr Haus eindrang, absurde Hoffnungen in ihr weckte, nur um sie im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher