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Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fest, schloß die Augen, preßte die Lippen fest zusammen, fast platzten seine Lungen … Dann war der Schwall vorbei, er öffnete wieder die Augen, sah wieder den Himmel und das Meer und neben sich Cuong, der aufzutauchen schien. Xuong holte tief Atem und hielt ihn dann an. Seine Hände, mit denen er sich festgeklammert hatte, waren leer. Sie hatten ihn gerettet, aber dabei den Kompaß losgelassen. Irgendwo in diesen Wellenbergen war er versunken.
    Xuong zeigte seine leeren Hände, und Cuong begriff. Sie starrten sich stumm an, duckten sich unter einem neuen, kleineren Brecher und schüttelten dann wie nasse Hunde das Wasser von sich ab.
    »Ist das unser Ende, Xuong?« fragte Cuong und klammerte sich an das Ruderrad.
    »Ich habe noch meine Uhr. Ich werde mit meiner Uhr die Richtung bestimmen.«
    »Kannst du das? Mit einer Uhr?«
    »Ja, ich erkläre es dir später. Man kann mit einer Uhr notdürftig die Himmelsrichtung bestimmen.«
    »Lehrer, du bist ein kluger Mann. In irgendeiner Ecke findest du immer noch ein Korn Hoffnung.«
    »Ich habe euch auf das Meer geführt, ich bin für euch verantwortlich.«
    »Keiner ist gezwungen worden, alle sind freiwillig mit dir gekommen. Mach dir darüber keine Gedanken, Xuong.«
    Am sechzehnten Tag schnaufte der Motor noch einmal, röchelte wie ein Sterbender und stand dann still. Cuong drehte den Starterschlüssel herum. Es war am frühen Morgen, das goldene Meer schimmerte unter einer metallenen Sonne, das Unwetter war vorbeigezogen wie mittlerweile vierundvierzig Schiffe, noch war das Wasser sehr bewegt, aber die Wellen kamen länger und flacher heran, und der Wind war zu einem warmen Streicheln geworden.
    »Das war der letzte Tropfen Benzin«, sagte Cuong und setzte sich auf die schmale Rückbank. »Jetzt sind wir am Ende. Auch die Verpflegung reicht nur noch für ein paar Tage, vor allem das Frischwasser wird knapp. Wir haben mit höchstens zehn Tagen gerechnet und mit der Menschlichkeit der Menschen.«
    »Wer konnte das ahnen, was wir erlebt haben?« Xuong maß die Himmelsrichtung mit seiner Uhr: Die Zwölf zur Sonne, und der halbierte Zwischenraum von Zwölf und dem Stundenzeiger ergab Norden. Sie trieben jetzt wieder nach Westen ab und konnten es nicht ändern. »Haben wir noch ein großes weißes Tuch?«
    »Ich weiß es nicht. Warum?«
    »Wir spannen es auf und schreiben darauf in großen Buchstaben: ›Rettet 14 Frauen und 12 Kinder! SOS!‹ Daran kann niemand vorbeifahren.«
    Wirklich nicht?
    Noch drei Schiffe begegneten ihnen in zwei Tagen, nur drei, denn sie trieben hilflos von der Wasserstraße weg. Sobald man sie am Horizont auftauchen sah, spannten die Frauen das große weiße Tuch an den hölzernen Aufbau, und die Männer verschwanden in dem Verschlag. Winkend und ihre Kinder hochhaltend warteten sie auf das Stoppen der Maschinen. Man mußte sie doch sehen, die große Schrift auf weißem Grund, diesen Aufschrei der höchsten Not, die Mütter und die Kinder! Doch immer fuhren die Schiffe vorbei, wie es ihnen die Politiker diktiert hatten.
    Nur einmal in diesen Tagen, auf dem Frachter Elena Holmsson, gab es eine Auseinandersetzung. Der 1. Offizier stürmte auf die Brücke und zeigte hinaus auf das elende, flache Boot mit den winkenden Menschen. »Da sind Schiffbrüchige!« rief er atemlos. »Herr Kapitän, wir müssen beidrehen.«
    »Nein.« Der Kapitän blickte geradeaus auf das Meer und hatte die Hand auf den Maschinentelegrafen gelegt. »Nein.«
    »Es … es ist unsere Pflicht, Seemannspflicht!« stotterte der 1. Offizier.
    »Gehen Sie in Ihre Kajüte, Lars …«
    »Menschen in Not auf See …«
    »Es sind keine Schiffbrüchigen. Es sind Vietnamesen. Geflüchtete Vietnamesen.«
    »Aber es sind doch Menschen, Herr Kapitän!«
    »Angenommen, wir nehmen sie an Bord. Was geschieht mit ihnen? In keinem Hafen dürfen sie an Land ohne die Garantie eines Staates, sie für immer aufzunehmen. Aber diese Garantie gibt niemand. Oder glauben Sie, wenn wir in alle Welt funken: ›Wir haben soundso viele Vietnamesen an Bord, wer nimmt sie uns ab?‹, irgend jemand gäbe uns Antwort? Im Gegenteil – in jedem Hafen, den wir anlaufen, werden wir unter Quarantäne gestellt und scharf bewacht. Und was bedeutet das, Lars? Wir haben monatelang die Vietnamesen an Bord, kriegen sie nicht los, die Reederei macht uns zur Sau … und das alles unter tiefem Schweigen der Weltöffentlichkeit.«
    »Es sind Frauen und Kinder, Herr Kapitän!«
    »Ich bin kein Analphabet, ich kann
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