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Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Titel: Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)
Autoren: Bernhard Albrecht
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Vorwort
    Ä rzte sind es gewohnt zu gehorchen. Kaum ein Beruf wird so beherrscht von Vorschriften, die sich andere ausgedacht haben, und von Wissen, das entweder nicht oder nur punktuell mit sehr viel Aufwand hinterfragbar ist. Von Beginn des Medizinstudiums an werden künftige Ärzte darauf gepolt, dieses Wissen zunächst kritiklos aufzunehmen – anders wäre es kaum möglich, die große Menge an Stoff zu bewältigen. Ich habe diese Transformation selbst erlebt und an meinen Kommilitonen beobachtet. Ich erinnere mich an unsere Ehrfurcht vor den Professoren, an unsere Gespräche, in denen wir Fleiß, Intelligenz und Auffassungsgabe der anderen austesteten, an unseren Wettstreit darum, wer die dicksten Bücher gewälzt und die meisten Fachzeitschriften gelesen hat, wer trotzdem noch die Zeit fand, alle Vorlesungen und vielleicht gar noch Kongresse zu besuchen. Immer aber waren es andere, die uns erklärten, wie alles funktioniert. Wir haben nur wiedergekäut.
    Viele Ärzte bleiben nach dem Studium in diesem Denkmodus. Sie wenden an, was andere erforscht und zusammengetragen haben, vergleichbar den Nutzern von Computern, die ihr Gerät bedienen können, ohne sein inneres Wesen zu verstehen. An die Stelle der Professoren treten Chefärzte, von denen nicht wenige ihre Untergebenen behandeln wie dumme Schuljungen. An die Stelle der Lehrbücher treten Leitlinien, die es für nahezu jedes Krankheitsbild gibt und auf die sich führende Fachvertreter in endlos langen Sitzungen geeinigt haben – oft Kompromisslösungen, bei denen fundierte Meinungen unter den Tisch fallen, die nicht mehrheitsfähig sind. Daneben müssen Ärzte die immer komplexeren Vorgaben der Krankenkassen und des Gesetzgebers beachten und sich ökonomischen Zwängen fügen. Mitunter werden sie anfällig für geschickt gestreute Informationen von Pharmafirmen, vorgetragen von bezahlten Wissenschaftlern, die sie zu überteuerten, wirkungslosen Therapien verführen. Doch unterm Strich leisten viele, das soll nicht unterschätzt werden, gute Medizin für einen Großteil ihrer Patienten. Denn das Denksystem der Schulmedizin, über Jahrtausende aus Puzzlesteinen der Erkenntnis zusammengetragen, funktioniert für viele Krankheiten, ohne dass der Arzt ihre Ursachen verstehen muss. Die etablierten Diagnose- und Therapieschemata ergeben meist Sinn.
    Dieses System aber lässt wenig Spielraum für die ärztliche Kunst – ein Begriff, der altmodisch anmutet, weil er so selten verwendet wird. Um ärztliche Künstler geht es in diesem Buch. Sie tun, was Künstler tun: Sie improvisieren, lassen sich von Fantasie und Visionen leiten, vertrauen mitunter ihrem Bauchgefühl mehr als der Vernunft oder Evidenz, sie bauen an der Medizin der Zukunft, ohne dabei die Bodenhaftung zum überlieferten Wissen der Schulmedizin zu verlieren. Nur einige von ihnen haben sich diese Rolle selbst ausgesucht. Andere werden in sie hineingestoßen, weil ihre Patienten sie in ein Grenzland der Medizin führen, wo Leitlinien ihre Bedeutung verlieren. Einsam stehen sie da, kein Fachbuch und keine Publikation weist ihnen den Weg. Sie müssen tun, was Ärzte vor Jahrtausenden taten: die Therapie am Krankenbett erfinden.
    Seit vielen Jahren suche ich solche Ärzte und ihre Patienten auf. Manche sind nicht schwer zu finden, sie haben es schon auf die Seite eins der BILD- Zeitung geschafft – so zum Beispiel jener Neonatologe, der der »jüngsten Frühgeburt Europas« zum Leben verhalf. Doch die Berichterstattung ging nicht über bloße Fakten hinaus, weil die Familie nie an die Öffentlichkeit wollte. Warum hat der Arzt sich für eine Maximaltherapie entschieden, obwohl die Überlebenschancen des Babys statistisch bei null Komma null standen? Wie geht es den Eltern heute mit ihrem Kind? Wird es sein Leben lang behindert sein?
    Andere Fälle finden in Fachkreisen große Beachtung, die Ärzte werden für ihre Innovation mit höchsten Auszeichnungen versehen, ohne dass die Öffentlichkeit daran teilnimmt – so die Geschichte jenes Thoraxchirurgen, der zusammen mit seiner Frau, einer Grundlagenforscherin, die erste künstliche Luftröhre der Welt im Labor erschuf. Warum hat er den über viele Jahre vorbereiteten Eingriff ausgerechnet an einem indischen Einwanderer vollzogen, der nicht mehr leben wollte und Backofenreiniger schluckte? Nimmt der Inder, der über Monate auf der Intensivstation täglich den Tod vor Augen hatte, sein geschenktes zweites Leben an?
    Von einem Fall erfuhr ich aus dem
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