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Rueckkehr nach Abbeydale

Rueckkehr nach Abbeydale

Titel: Rueckkehr nach Abbeydale
Autoren: Penny Jordan
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1. KAPITEL
    „Wie lange dauert es noch, Mum?”
    Kate Seton blickte hinunter in das Gesicht ihrer zehnjährigen Tochter. Die Kleine war aufgeregt und konnte es kaum abwarten, bis ihr langgehegter Wunsch endlich in Erfüllung ging. Wenn es doch bloß nicht mehr so weit wäre! ging es Kate durch den Kopf.
    Früher war ihr die Fahrt von London in die Yorkshire Dales auch endlos erschienen. Allerdings hatte sie damals aus den Dales wegkommen wollen, und sie war achtzehn gewesen und nicht zehn. Außerdem war sie schwanger gewesen und hatte große Angst gehabt.
    Daran wollte sie an diesem Tag jedoch nicht denken. Mit dem Besuch zu Hause wollte sie nicht nur Cherry belohnen, sondern es war auch ein Versuch, sich mit ihren Eltern auszusöhnen. Sie seufzte leise und schloß die Augen, so daß die vertraute, sommerlich grüne Landschaft für einen Moment verschwand.
    Mittlerweile hatten sie das ehemalige industrielle Zentrum des Landes hinter sich gelassen und fuhren nun durch eine beschauliche Gegend, deren Einwohner sich von den schweren Zeiten nicht hatten unterkriegen lassen.
    Genau wie ihre Eltern.
    „Holt Großvater uns wirklich ab, Mum?”
    Cherrys Tonfall verriet die typische Besorgnis eines Kindes, das gelernt hatte, von den Erwachsenen nicht allzuviel zu erwarten. Kate verspürte einen schmerzhaften Stich.
    „Ja, er holt uns ganz bestimmt ab”, versicherte sie.
    Davon war sie fest überzeugt, denn ihr Vater war sehr zuverlässig. Diesen Charakterzug hatten alle Menschen in der ländlichen Gemeinschaft der Dales aufgrund ihrer Lebensumstände entwickelt.
    Kate beobachtete ihre Tochter, während diese aufgeregt aus dem Zugfenster schaute. Sie hatte sie Cherry genannt, weil sie im Mai geboren war, als die Kirschbäume geblüht hatten. Ihretwegen hatte sie die Dales verlassen, und ihretwegen kehrte sie jetzt dorthin zurück.
    „Und wir bleiben die ganzen Sommerferien bei Granny und Grandpa, ja?” fragte Cherry besorgt und wandte sich ihr zu.
    „Ja”, antwortete Kate ruhig, obwohl sie innerlich aufgewühlt war. Sie fragte sich, wie ihre Eltern reagieren würden, wenn sie zum erstenmal ihre Enkeltochter sahen.
    Nachdem sie verkündet hatte, daß sie schwanger war, hatte sie ihr Elternhaus damals im Streit verlassen.
    Die rigiden Moralvorstellungen ihres Vaters hatten ihren älteren Bruder David dazu bewogen, mit siebzehn von zu Hause wegzugehen und in der Welt herumzuziehen. Schließlich war er in Kanada seßhaft geworden. Sie war zu dem Zeitpunkt zwölf gewesen, und ihr Vater, der bis dahin erwartet hatte, daß David den Hof eines Tages von ihm übernehmen würde, hatte sich von ihm im Stich gelassen gefühlt.
    Da die Setons seit Beginn des 16. Jahrhunderts als Schafzüchter in Abbeydale ansässig waren, war es für ihren Vater John undenkbar gewesen, daß sein einziger Sohn mit dieser jahrhundertealten Tradition brechen könnte.
    Daß David ihn so enttäuscht hatte, hatte ihn sehr belastet und auch seine Einstellung zu seiner Tochter negativ beeinflußt. Im nachhinein konnte Kate es besser verstehen.
    Ihr Vater war streng gewesen, hatte sie jedoch nicht unterdrückt. Nach der Schule hatte sie immer auf dem Bauernhof mitarbeiten müssen. Sie hatte ihre Mutter bei der Aufzucht der Küken und dem Verkauf der Eier geholfen sowie beim Bestellen des Gemüse- und Obstgartens, doch sie hatte dieses Leben immer gehaßt.
    Vielleicht war sie deswegen in der Schule so fleißig gewesen, weil sie gewußt hatte, daß sie diesem Dasein nur entkommen konnte, wenn sie später studierte.
    Da ihr Vater eine gute Ausbildung stets zu schätzen gewußt hatte, hatte er Kate – wenn auch widerwillig – zum Bahnhof gebracht, als es soweit gewesen war. Natürlich war ihm klargewesen, daß sie nie zurückkehren würde.
    In den ersten Wochen hatte sie sich an der Universität von Lancaster schrecklich einsam gefühlt, denn alles war ganz anders gewesen, als sie es sich vorgestellt hatte. Sie hatte sich von ihren Kommilitoninnen ausgeschlossen gefühlt, die wesentlich weltgewandter gewesen waren als sie.
    Und dann hatte sie Silas kennengelernt.
    „Kam mein Vater auch aus den Dales, Mum?”
    Kate drehte sich unvermittelt zu ihrer Tochter um. In ihren dunkelgrünen Augen, die sie von einer schottischen Vorfahrin geerbt hatte, lag ein verletzlicher Ausdruck.
    Hatte Cherry etwa ihre Gedanken gelesen? Das war ja richtig unheimlich!
    Cherry sprach nur selten von ihrem Vater. Sie wußte, daß sie das Ergebnis einer kurzen Beziehung war und ihre
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