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190 - Der Finder

190 - Der Finder

Titel: 190 - Der Finder
Autoren: Jo Zybell
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Was er mit geschlossenen Augen sah, war zunächst nur ein goldener Schimmer. Er glänzte in jener der beiden Spalten, durch die man den Gang in die untere Welt betreten konnte. Ein paar Atemzüge später jedoch sah der goldene Schimmer schon aus wie eine menschliche Gestalt: zwei Arme, zwei Beine, einen Kopf und an der Hüfte eine Art Stab.
    »Sprich zu uns, Ahne!« Gauko’on breitete beide Arme zur Höhlendecke aus. »Gebiete, was als Nächstes zu tun ist in diesem großen Kampf! Gebiete und wir gehorchen!« Die anderen beiden wiegten ihre Oberkörper heftiger und summten lauter.
    Die goldene Gestalt trat aus der Spalte in der roten Höhlenwand.
    Der tanzende Flammenschein spiegelte sich auf ihrer Brust und auf dem Helm, der ihren Schädel bedeckte. Ein Schwert war es, was sie an der Hüfte trug, ein Schwert mit goldenem Knauf und in goldener Scheide. Gauko’on streckte dem Goldenen beide Arme entgegen.
    »Sprich, allmächtiger Ahne!« Der Singsang der Uralten erfüllte die Höhle.
    Der Goldene trat zwischen zwei von ihnen hindurch ins Feuer. Die Flammen verschmolzen mit dem Schimmer seiner metallenen Gestalt, sie tanzten wilder und strahlten heller. Mal loderte die Gestalt wie tausend Flammen, mal leuchteten die Flammen wie goldenen Zungen.
    »Neue Kämpfer treffen ein«, sagte die goldene Gestalt, und es war, als würde ihre Stimme hundertfach von den Wänden flüstern. »Es werden die letzten sein. Bringt sie in diese Höhle, ihr Wächter des Uluru, einen nach dem anderen, damit ich sie alle ergründen kann.«
    ***
    Er lag flach auf dem Bauch, und sein Kinn steckte fast bis zur Unterlippe im Sand. Mit den Fingern trommelte er auf den Boden.
    Sein ehemals weißes Stirntuch war rötlich von Sand, roter Sand auch in seinem schwarzen Haar – in seinem ausgefransten Zopf, in seinem langen Schnurrbart, in seinen Brauen. Durst pulsierte in seiner Kehle, Hunger in seinem Bauch, Fieber in seinen Gelenken.
    Direkt vor seinen Augen bewegte sich die Sandfläche an einer Stelle. Es war, als würde jemand aus der Unterwelt heraufsteigen und seinen Finger von unten gegen die Oberfläche drücken. Zwei Fühler streckten sich aus dem Boden, ein Paar Kauscheren folgte, und dann ein samtener roter Körper, nicht größer als sein kleiner Finger und von ähnlicher Form.
    Er griff zu.
    Mit dem Daumen trennte er den Kopf samt Kauscheren und Fühlern von dem weichen Leib, den er in den Mund steckte. Der Wurm knirschte zwischen seinen Zähnen, denn er war voller Sand.
    Er schmeckte süßlich und war saftig. Dennoch wollte er ihm kaum den trockenen Hals hinunter.
    Wie man ein derartiges Tier in dieser Weltgegend nannte, das wusste er nicht. Es interessierte ihn auch nicht. Er wusste ja kaum noch, wie dieses unendliche Stück Erde hieß, durch das er nun schon seit vier Monden wanderte. Und schon gar nicht wusste er, was er hier zu suchen hatte. Nicht wirklich, jedenfalls.
    Wenigstens wusste er noch, wie er hieß: Cahai.
    Speichel sammelte sich in seinem ausgetrockneten Mund, mit ihm schluckte er die Reste des Rotwurms hinunter. Danach trommelte er weiter mit den Fingern auf den Boden; solange, bis der nächste Rotwurm aus dem Sand kroch.
    Manchmal hatte er tagelang im Schatten eines Waldrandes gelegen, oder am Ufer eines Flusses. Nervöse Zuckungen seiner Finger hatten rote und sehr feuchte Würmer aus der Erde gelockt. Möglicherweise verdankte er den Zuckungen also sein Leben, denn inzwischen hatte er sie perfektioniert. Gewissermaßen aus Versehen also lebte er noch.
    Jedes Mal, wenn er einigermaßen gesättigt aufgestanden war und sich auf den Rückweg gemacht hatte, brannte plötzlich wieder dieser ungeheure rote Felsen in seinem Kopf, und er machte kehrt und wanderte weiter. Immer weiter ins Zentrum dieses unendlichen Landes hinein.
    Wie hieß es doch gleich? Ausala, richtig. Verfluchtes Land, verfluchtes Ausala!
    Auch jetzt wäre er gern liegen geblieben. Wo ein Rotwurm aus der Erde kroch, konnten andere nicht weit sein, oder? Das jedenfalls hatte wochenlange Erfahrung ihn gelehrt. Und die Biester waren so herrlich saftig! Was sollte er denn die Mühsal des Aufstehens und des nächsten Schrittes auf sich nehmen, wo doch die Rotwürmer zu ihm kamen, wenn er nur fleißig genug mit den Fingern auf den Boden trommelte?
    Also blieb er liegen, wartete, trommelte und beobachtete den Sand vor seinem Gesicht. So verharrte der kleine drahtige Bursche eine Zeitlang. Tatsächlich krochen drei weitere Rotwürmer aus der Erde, und er
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