Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesicht

Das Gesicht

Titel: Das Gesicht
Autoren: Dean Koontz
Vom Netzwerk:
können.
    Ihn störte nicht, dass sie gesichtslos war. Er behauptete, als Bulle bei der Mordkommission arbeite er ständig zu den Jazzrhythmen und dem Wehmutswummern von New Orleans und bekäme ohnehin schon tagtäglich eine Überdosis Lokalkolorit ab. Die fade Wohnung verschaffe ihm den notwendigen Realitätsbezug.
    Michael hatte sich für die Arbeit in ein Hawaiihemd, ein hellbraunes Sportsakko, das sein Schulterhalfter verbarg, und Jeans geschmissen und erwartete sie schon am Straßenrand. Er wirkte harmlos und liebenswürdig, doch das täuschte, denn wie gewisse süffige Cocktails war er tückisch.
    Als Michael auf der Beifahrerseite einstieg und die Tür hinter sich zuzog, hielt er in einer Hand eine weiße Papiertüte und zwischen den Zähnen so behutsam wie ein Jagdhund, der eine Ente apportiert, einen unangebissenen Doughnut.
    Carson sagte: »Was ist das für ein Geschwür auf deiner Lippe?«
    Er nahm den Doughnut, intakt und fast ohne Zahnabdrücke, aus dem Mund und sagte: »Buttermilchteig, mit Ahornsirup glasiert.«
    »Her damit.«
    Michael hielt ihr die weiße Tüte hin. »Einer mit der üblichen
Glasur, zwei mit Schokoladenüberzug. Such dir aus, was du willst.«
    Carson schenkte der Tüte keinerlei Beachtung, schnappte sich den Doughnut aus seiner Hand und sagte: »Ich bin verrückt auf Ahornsirup.«
    Sie riss mit den Zähnen einen großen Bissen heraus und kaute energisch darauf herum, während sie schwungvoll vom Randstein losfuhr und wie eine Rakete auf die Straße schoss.
    »Ich bin auch ganz verrückt auf Ahornsirup«, seufzte Michael.
    Die Wehmut in seiner Stimme sagte Carson, dass er nach mehr als dem Doughnut mit Ahornsirup lechzte. Nicht nur, um ein rein berufliches Verhältnis zu ihm zu wahren, tat sie so, als sei es ihr nicht aufgefallen. »Der mit der üblichen Glasur schmeckt dir bestimmt.«
    Während Carson auf die Veterans Avenue fuhr und vorhatte, den Pontchartrain Boulevard bis zur Harrison zu nehmen und dann den Weg zum City Park einzuschlagen, kramte Michael in der Tüte mit den Doughnuts, um deutlich klarzustellen, dass er lediglich aufgrund grausamer Notwendigkeit einen der anderen Leckerbissen wählte.
    Seine Wahl fiel, wie sie bereits vorher gewusst hatte, auf den Schokoguss – nicht auf die übliche Glasur, die sie ihm so freundlich nahegelegt hatte. Er biss hinein und knüllte den oberen Rand der Papiertüte zusammen.
    Als Carson im letzten Moment, ehe sie auf Rot schaltete, über eine gelbe Ampel fuhr, blickte er auf und sagte: »Nimm den Gasfuß etwas zurück und du hilfst, den Planeten zu retten. In meiner Religionsgemeinschaft beginnen wir jeden Arbeitstag mit einer gehörigen Portion Zucker und Meditation.«
    »Ich für meinen Teil bin kein Mitglied der Gemeinde fettärschiger Detectives. Außerdem habe ich gerade einen Anruf
bekommen – heute Morgen haben sie Nummer sechs gefunden. «
    »Sechs?« Mit einem weiteren Bissen im Mund sagte er: »Woher wissen die, dass es derselbe Täter ist?«
    »Mal wieder ein chirurgischer Eingriff – wie bei den anderen. «
    »Leber? Niere? Füße?«
    »Sie muss hübsche Hände gehabt haben. Sie haben sie im City Park in der Lagune gefunden, mit abgehackten Händen.«

4
    Die Leute kamen in den City Park, der ein Areal von fünfzehnhundert Acres einnahm, um die Enten zu füttern oder sich unter den verzweigten Kronen der Eichen zu entspannen, die mit graugrünen Vorhängen aus Louisianamoos behangen waren. Sie hatten ihre Freude an dem gepflegten botanischen Garten, den Art-déco-Brunnen und den Skulpturen aus dieser Epoche. Die Kinder liebten den Märchenland-Themenpark und die berühmten hölzernen fliegenden Pferde auf dem Nostalgie-Karussell.
    Jetzt hatten sich Zuschauer versammelt, um die Ermittlungen in einem Mordfall zu beobachten, die an der Lagune im Gange waren.
    Wie immer jagten diese Schaulustigen mit ihrer morbiden Neugier Carson einen Schauer über den Rücken. Unter ihnen waren Großmütter und Teenager, Geschäftsmänner in Anzügen und angegraute Penner, die aus ihren Flaschen in braunen Papiertüten billigen Fusel nuckelten, aber von jedem Einzelnen schnappte sie die Vibes aus Die Nacht der lebenden Toten auf.

    Jahrhundertealte Eichen ragten über einem Teich mit grünem Wasser auf, der von Schilf gesäumt wurde. Gepflasterte Pfade schlängelten sich am Rand der Lagune entlang, durch anmutig gewölbte steinerne Brücken miteinander verbunden.
    Ein paar Schaulustige waren auf die Bäume geklettert, um einen besseren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher