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Das Gesicht

Das Gesicht

Titel: Das Gesicht
Autoren: Dean Koontz
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ordentlicherer Ort gewesen, an dem weniger Durcheinander geherrscht hätte.
    Unter Roy dem Allmächtigen hätte es keine hässlichen oder unscheinbaren Menschen gegeben. Keinen Schimmel. Keine Küchenschaben oder auch nur Moskitos. Nichts, was schlecht roch.
    Unter einem blauen Himmel, den selbst er nicht besser hingekriegt hätte, jedoch in einer klebrigen Schwüle, die er niemals zugelassen hätte, schlenderte Roy über den Riverwalk, den Ort der 1984 Louisiana World Exhibition, der in einen öffentlichen Vergnügungspark und einen Einkaufspavillon umgewandelt worden war. Er war auf der Jagd.
    Drei junge Frauen in eng anliegenden Tops und knappen
Shorts scharwenzelten vorüber und lachten miteinander. Zwei von ihnen musterten Roy prüfend.
    Er sah ihnen in die Augen und ließ seine Blicke kühn über ihre Körper gleiten, bevor er sie eine nach der anderen verwarf.
    Selbst nach Jahren der Suche hatte er sich seinen Optimismus noch bewahrt. Sie lief irgendwo dort draußen herum, sein Ideal, und er würde sie finden – wenn es sein musste, dann eben Stück für Stück.
    In dieser promiskuitiven Gesellschaft war Roy mit seinen achtunddreißig Jahren noch Jungfrau, ein Umstand, auf den er stolz war. Er sparte sich auf. Für die perfekte Frau. Für die Liebe.
    In der Zwischenzeit feilte er sorgsam an seiner eigenen Vollkommenheit. Täglich absolvierte er zwei Stunden sportliches Training. Da er sich als einen Renaissancemenschen ansah, las er genau eine Stunde lang Literatur, studierte genau eine Stunde lang ein neues Fachgebiet und meditierte eine weitere Stunde täglich über die großen Mysterien und die wesentlichen Fragen seiner Epoche.
    Er aß nur Getreide aus biologisch-dynamischem Anbau. Er kaufte kein Fleisch aus Massentierhaltung. Keine Schadstoffe hatten ihren verderblichen Einfluss auf ihn, keine Pestizide, keine radiologischen Rückstände und erst recht kein seltsames Genmaterial aus manipulierten Lebensmitteln, das sich so schnell nicht abbauen ließ.
    Er ging davon aus, mit der Zeit, wenn er seine Ernährungsweise erst einmal bis zur Perfektion umgestellt hatte und sein Körper die Präzision einer Atomuhr besaß, würde er aufhören, Abfallprodukte auszuscheiden. Er würde jeden Happen so vollständig verarbeiten, dass er ausschließlich in Energie umgewandelt werden würde, und er würde keinen Urin und keine Fäkalien produzieren.
    Vielleicht würde er dann der perfekten Frau begegnen. Oft
träumte er von der Intensität der Sexualakte, die sie vollziehen würden. So heftig wie eine Kernfusion.
    Die Einheimischen liebten den Riverwalk, aber Roy hatte den Verdacht, dass es sich heute bei den meisten Leuten hier um Touristen handelte, wenn er sah, wie sie stehen blieben, um die Karikaturisten und die Straßenmusiker anzugaffen. Einheimische hätten sich auch nicht in so großer Zahl von Ständen anlocken lassen, an denen sich T-Shirts mit dem Aufdruck New Orleans stapelten.
    Vor einem leuchtend roten Wägelchen, an dem Zuckerwatte verkauft wurde, blieb Roy abrupt stehen. Der Duft nach heißem Zucker hüllte den Karren in einen süßen Dunst.
    Die Zuckerwatteverkäuferin saß auf einem Hocker unter einem roten Schirm. Sie war in ihren Zwanzigern, keineswegs hübsch und hatte widerspenstiges Haar. Sie wirkte so klobig und plump wie eine der Figuren aus der Muppetshow, schien jedoch weniger Persönlichkeit zu besitzen.
    Aber ihre Augen. Ihre Augen.
    Roy ließ sich davon gefangen nehmen. Ihre Augen waren unbezahlbare Edelsteine in dieser voll gestopften, staubigen Vitrine und von einem verblüffenden Blaugrün.
    Die Haut um ihre Augen herum kräuselte sich charmant, als sie seine Aufmerksamkeit wahrnahm und lächelte. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
    Roy trat vor. »Ich hätte gern etwas Süßes.«
    »Außer Zuckerwatte habe ich nichts anzubieten.«
    »Oh doch«, sagte er und wunderte sich darüber, wie galant er sein konnte.
    Sie sah ihn verwirrt an.
    Das arme Ding. Er war zu geschliffen für sie.
    »Ich nehme Zuckerwatte, bitte«, sagte er.
    Sie griff nach einem Stiel und drehte ihn durch den gesponnenen Zucker, der ihn bald wie eine duftige Wolke umgab.

    »Wie heißen Sie?«, fragte er.
    Sie zögerte, wirkte verlegen und wandte die Augen ab. »Candace.«
    »Ein Mädchen namens Candy, das Zuckerwatte verkauft? Ist das vom Schicksal gewollt oder nur ein guter Scherz?«
    Sie errötete. »Candace ist mir lieber. Es löst zu viele negative Assoziationen aus, wenn eine … eine korpulente Frau Candy
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