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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
Autoren: Karl May
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Die Rose von Ernstthal
Eine Geschichte aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Von Karl May
    Zwischen den Ausläufern des sächsischen Erzgebirges, da, wo das berühmte Zwickauer und Würschnitzer Kohlenbecken sich bis in die Nähe von Chemnitz zieht, liegen am nördlichen Rande desselben die beiden Schwesterstädte Hohenstein und Ernstthal, welche dem freundlichen Leser ihres Gewerbfleißes wegen gewiß bekannt sein werden. Besonders ist es Ernstthal, dessen Weberei schon vor langen Zeiten sich eines weitgehenden Rufes erfreute und für seine Waaren nicht blos in Deutschland und den angrenzenden Ländern, sondern auch über die See hinüber ein weites Absatzgebiet fand.
    Aber der Webstuhl vermag der Hand auch des fleißigsten Arbeiters keine Reichthümer zu bieten, und so schmiegt sich das arme Städtchen klein und bescheiden an die Thalsenkung, welche das Auge des Touristen nicht durch landschaftliche Schönheiten zu fesseln vermag und keinen andern Ruhm beansprucht als den, der friedliche Tummelplatz eines rührigen und genügsamen Völkchens zu sein.
    Bei diesem angestrengten Ringen mit den nackten Sorgen des Lebens mag wohl die Nüchternheit desselben mehr in Anschauung treten; doch weht uns nicht, wie man behauptet hat, der Hauch der Poesie nur aus Romanen und solchen Ereignissen entgegen, welche sich auf dem platten Spiegel des Parquets oder von der Natur bevorzugtem Boden entwickeln, sondern grad in den Pausen des großen Kampfes, welchen wir Arbeit nennen, wenn der Mensch sich den Schweiß von der erhitzten Stirn streicht und Hammer und Spaten bei Seite legt, läßt sich jener beseligende Odem kühler und würziger empfinden, und der dichtende Gott kehrt ein selbst in die ärmlichste Hütte.
    Mag also der Leser getrost die Gassen Ernstthal’s betreten oder an der Hand unserer Erzählung den Fuß nach einer halbverschütteten Höhle oder einem einsamen und primitiven Waldhäuschen lenken; sind auch keine welterschütternden Begebenheiten zu berichten, so wird ihn doch die wohlthuende Erfahrung anmuthen, daß der Hauch des Himmels die Blüthenflocken der Poesie auch in die entlegenen Winkel trage, an welchen die gewaltige Fluth der Geschichte nur fern vorüberrauscht.
1.
Die Begegnung im Walde
    Es war ein goldener, sonniger Julimorgen. Längst schon hatte die Feuchtigkeit des nächtlichen Thaues den Weg zum Aether gefunden; die Wärme des Tages wallte sichtbar um die braunen Stengel der noch blüthenlosen Erica und erquickender Duft fluthete durch die Zweige des stillen, geheimnißvollen Waldes.
    Die Vögel, ermüdet durch die Morgenabtheilung ihres täglichen Concertprogrammes, saßen sinnend unter dem grünen Plafond, durch dessen Oeffnungen sich das Licht in zauberischen Tönen brach; der Bach murmelte sein ewiges, einschläferndes Schlummerlied, und Meister Specht, der Zimmermann, saß ruhend im Astloche und verdaute die Larven, welche er sich zum Gabelfrühstücke mit listigem Pochen aus den Rindenritzen hervorgelockt hatte. Drüben, zwischen den Wurzeln eines Pulverholzstrauches, reckten vier junge, flaumige Rothkehlchen die gelben Schnäbel in die Höhe und hielten mit der geschäftigen Frau Mama lebhaftes Zwiegespräch über Speise-und Wirthschaftsangelegenheiten, der Papa aber saß auf dem obersten Zweige und gab sein Vaterglück durch die zartesten Aphorismen kund.
    Mit diesen gefühlvollen »Sangesperlen« harmonirten nun freilich die zweifelhaften Töne nicht, welche diesseits des Baches aus der Vertiefung hervordrangen, welche unter dem Namen der »Eisenhöhle« in der Umgegend Ernstthal’s bekannt ist.
    »Ah … ah! Das nenne ich schlafen; es muß schon wieder Nacht sein. Ah … ah! Doch nein; dort fällt ja das Tageslicht auf die Moostapeten meines Boudoirs; es ist also heller Tag. Aber wie komme ich denn eigentlich in diese gastfreundliche Eremitage? Ah … ah! Ach so, jetzt besinne ich mich: Großes Gewitter gestern; verirrte mich; lief bei stockfinsterer Nacht und strömendem Regen im Walde herum und fand endlich dieses Asyl, in welchem ich mich sofort häuslich niedergelassen und geschlafen habe bis Anno jetzt.«
    Er erhob sich von dem harten, steinigten Boden, ergriff das Felleisen, welches ihm als Kopfkissen gedient hatte und trat vor den Eingang der Höhle.
    »Guten Morgen, Du lieber, schöner, grüner Wald! Schüttelst zwar Dein immer junges, hundertköpfiges Haupt mißbilligend über den faulen, schlaftrunkenen Kumpan, der ich heut bin, bietest mir aber doch Waschgeschirr und
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