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Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)

Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)

Titel: Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)
Autoren: Ann Granger
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KAPITEL EINS
     
    Inspector Benjamin Ross
     
    Einmal bin ich einem Mann begegnet, der auf dem Weg war, einen Mord zu verüben. Ich wusste es damals nicht. Vielleicht wusste er es selbst noch nicht. Was zu einem Verbrechen wurde, war vielleicht zuerst nur ein verschwommener Gedanke, ein kranker Traum in seinem Kopf. Hätte er den Entschluss bereits gefasst gehabt, wäre er vielleicht trotzdem vor der Tat zurückgeschreckt, hätte ihn eine natürliche Abscheu im letzten Moment abgehalten. Ein Wort hätte genügt. Ich hätte ihn vielleicht aufgehalten, indem ich ihn nur gefragt hätte, wohin des Weges, und ihn ermahnt, auf seinen Schritt zu achten. Ganz so, wie es von Polizeibeamten in der Öffentlichkeit erwartet wird. Er hätte noch genügend Zeit gehabt, sein Vorhaben zu überdenken. Vielleicht hätte er seinen Plan geändert, hätte ich ihn angesprochen. Doch wir gingen aneinander vorbei wie die sprichwörtlichen Schiffe in der Nacht, ohne uns zu sehen, und eine Frau starb.
    Ich war noch nicht lange dabei, als ich von der uniformierten Polizei zur zivilen Abteilung wechselte, kaum mehr als zwei, drei Jahre. Es war zur Weltausstellung von 1851. Ich sollte mich unter das Volk mischen, lautete der Plan, um Taschendiebe und Falschgeldschieber unter den Besuchern des Crystal Palace im Hyde Park ausfindig zu machen. Ich war halbwegs erfolgreich, obwohl ich rasch herausfand, dass die kriminelle Bruderschaft (und auch die Schwesternschaft) einen Polizeibeamten innerhalb von Sekunden nach seinem Eintreffen vor Ort erkennt – gleichgültig, wie er gekleidet ist.
    Mag dies sein, wie es will, ich war jedenfalls seither bei der zivilen Abteilung mit Sitz am Scotland Yard und im Lauf der Jahre bis in den Dienstrang eines Inspectors aufgestiegen. Was, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, gar nicht schlecht ist für jemanden, der sein Arbeitsleben als Kohlenjunge in seiner Heimat Derbyshire begann, bevor er nach London kam, um dort sein Glück zu versuchen. Die Weltausstellung jedoch werde ich nie vergessen. Ich kannte die großen Maschinen von den Zechen und Fördertürmen, doch das war gar nichts im Vergleich zu dem, was der Crystal Palace zu bieten hatte. Alle möglichen Apparate und Vorrichtungen wurden ausgestellt, prachtvolles Mobiliar und Haushaltsgeräte, wie sie der Queen zur Ehre gereicht hätten, was immer man sich nur vorstellen konnte – selbst eine Dampflokomotive, die ihre Fahrgäste über das Gelände beförderte.
    Eine Sache wurde nicht in der Ausstellung gezeigt, doch sie war überall zu sehen, als ich an jenem Samstagabend sechzehn Jahre später nach Hause ging, Anfang November 1867, um genau zu sein. Eine Sache, die, wie ich schwören könnte, in der Welt außerhalb Londons ihresgleichen suchte. Nicht aus Metall, Holz, Porzellan oder Tuch geschaffen und nicht dem Kopf eines genialen Erfinders oder Handwerksmeisters entsprungen. Es kommt nicht ratternd und Dampf speiend und Öl verspritzend daher, und es ist nicht in sämtlichen Farben des Regenbogens bemalt, sondern von schmutzig gelblicher oder stumpfer grauer Farbe. Es ist lautlos, und es bildet sich aus dem feuchten Atem der Stadt daselbst. Es ist der Londoner Nebel.
    Der Londoner Nebel ist wie ein lebendes Tier. Er wirbelt um einen herum und greift von allen Seiten an, er schleicht sich in die Kehle und kriecht in die Nasenlöcher. Er blendet und raubt einem die Sicht, und manchmal ist er so dicht, dass man meint, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um eine Faustvoll davon packen zu können, wie Watte. Doch das geht natürlich nicht. Er schlüpft einem spöttisch durch die Finger und hinterlässt nichts als den teerigen Gestank auf der Kleidung, den Haaren, der Haut. Und mag man noch so angestrengt versuchen, ihn aus der eigenen Wohnung herauszuhalten, die Tür vor ihm zu versperren, er findet selbst den Weg in die heimische Stube.
    An jenem Tag im November legte sich der Nebel am frühen Nachmittag auf die Stadt, und um vier Uhr hatte er Central London fest in seinem feuchten, kalten Griff und streckte die klammen Finger bis in die abgelegensten Vororte aus. Den ganzen Tag über war es mehr oder weniger ruhig gewesen. Das Wetter hatte viel damit zu tun – auch die Ganoven und Taschendiebe blieben bei Nebel lieber zu Hause. Durch die Fenster meines winzigen Büros im Scotland Yard hatte ich verfolgt, wie der Nebel dichter und dichter geworden war, und nun ging die Sonne, wo auch immer sie stehen mochte über diesem dichten grauen Leichentuch,
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