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Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels
Autoren: Kay Cordes
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eines wusste sie genau: Sie sah ein Feuer, mehr noch, eine ganze Feuerwand. Sie hörte Rufe, Schreie. Ihre waren darunter, aber auch andere. Ein Pferd stampfte durch den Wald, sie saß auf seinem Rücken.Aber trug es nicht ein Kreuz? Und dann diese Angst, aber da war noch etwas: Freude und Süße.
    Von der Vision gefangen, krochen ihre Finger immer tiefer in die Borkenspalten. Hanna lächelte glücklich, doch plötzlich spürte sie, wie der herausgekratzte Borkenstaub unter ihren Nägeln brannte und der Baum zu schwanken schien. Ihre Finger verkrampften sich, und sie riss ihre Hand zurück.
    Das ungestüme Flattern einer Taube ließ sie wieder zu sich kommen. Hanna steckte sich den blutenden Ringfinger in den Mund. Bitter und süß, dachte sie. Es schmeckt wie meine Vision.

3
    «Weil ich Hunger, Hunger auf was Schönes hab!» Tags darauf, um die Mittagszeit, sprang Marie quirlig wie ein Eichhörnchen zwischen den Meilern umher. Sie hatte Lust auf Süßes gehabt und vergeblich Brombeeren gesucht. Nun hingen Kletten in ihrem seidig braunen Haar, und ihre Arme und Beine waren blutig und zerkratzt.
    Sie stürmte in die Köhlerhütte und kreischte laut auf, weil Arndt nach ihrem fleckigen Kittel haschte. Er hatte ihr verboten, allein durch den Wald zu streifen, aber ob er nun schimpfte oder nicht: Seit diesem Sommer kümmerte Marie sich nicht mehr um seine Verbote.
    «Raus!», rief ihr Vater. «Mach dich nützlich. Hilf Hanna.»
    «Nein, ich suche Eckern, Eckern, weil ich Hunger, Hunger hab.»
    «Du Ausbund!»
    Tilman stemmte sich von seinem Lager hoch und schaute seiner kleinen Tochter nach, die wieder hinausgestürmt war und wie üblich vergessen hatte, die Tür hinter sich zuzumachen. Trotzdem lächelte er. Insgeheim war er stolz auf sein Nesthäkchen, das er von Tag zu Tag mehr liebte, mehr noch als Hanna. Ihre Mutter Ruth war ein Jahr nach Maries Geburt gestorben und lag auf dem Neusitzer Kirchhof. Er würde sich dort kein Grab mehr leisten können, aber so war das eben bei armen Leuten. Gott nimmt nicht nur zu sich, wen er will, sondern bestimmte einem auch das Grab. Für ihn würde es unter der alten Eiche sein.
    Aufstöhnend sank Tilman Völz zurück. Der faulende Zahn brachte ihn noch um. Und die Kraft, die das kostete! Vorhin waren ihm deswegen die Beine weggeknickt, einfach so. Dabei war er gerade einmal neununddreißig Jahre alt. Tilman ballte die Fäuste. Ob nun mit faulem oder gesundem Zahn: Er würde sich jetzt ausruhen, dafür aber die Nachtschicht übernehmen. Hanna und Arndt könnten dann endlich einmal wieder ausschlafen. Vor allem Hanna, dachte Tilman. Noch ist sie hübsch. Aber wenn sie gut einheiraten will, muss sie sich beeilen.
    Ach, dieses elende Leben. Tot sein wäre besser.
    Tilman Völz wurden die Augen feucht, die Lider schwer. Nach einer Weile fielen sie ihm vor Müdigkeit zu. Nur bis heute Abend, sagte er sich. Vergiss deinen Zahn. Eine Weile hörte er noch Maries sich entfernende Stimme, lächelte und freute sich. Sachte fiel er in einen tiefen Schlaf. Einen Moment noch schien es ihm, Marie kehre zu ihm zurück, riefe ihm etwas zu, das er nicht verstehen konnte. Dann aber riss ihn die Dunkelheit fort.
    Marie indessen tanzte um einen der Meiler herum, hielt nur inne, um hin und wieder Hanna zu umarmen und sie mitzuziehen: «Pilze, Pilze, Hanna. Bitte.»
    «Aber Marie, dazu ist es doch viel zu trocken. Wir würden uns die Augen aus dem Kopf stieren und doch nichts finden.»
    «Aber wo der Bach fließt, beim Graben   …»
    «Herzchen, der ist auch ausgetrocknet.»
    «Ja und? Nachher finden wir gerade deswegen Gold unter einem Stein, komm!»
    Marie zupfte an Hannas Kleid, doch die schüttelte erschöpft den Kopf. Ihr fehlte mal wieder Schlaf, zudem machte ihr die Vision zu schaffen. Sie grübelte den Schemen nach und versuchte ihre Bedeutung zu enträtseln, worüber sie mehr und mehr die Arbeit vergaß. Die Strafe folgte flugs: Der Meiler ging an einer Stelle durch, was bedeutete, er bekam zu viel Luft. Sie hatte die Lüftungskanäle, die am Boden bis unter den Meiler reichten, zu großflächig abgedeckt. Mit aller Macht drückte der Rauch jetzt durch die daumendicke Abdeckschicht, die Temperaturen in seinem Innern zogen stark an. Wenn sie die Luftzufuhr jetzt nicht schnell drosselte, würde das Holz Feuer fangen und verbrennen.
    «Herrgott, Marie! Hilf mir lieber, bevor der ganze Meiler durchgeht. Tu auch mal was. Himmel, du bist zehn Jahre alt!»
    «Eben, eben und darum, Hanna, such ich
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