Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels
Autoren: Kay Cordes
Vom Netzwerk:
mir jetzt was zu essen.»
    Marie rannte los, so schnell sie ihre Beine trugen. Als ob sie wirklich fliegen will, dachte Hanna und blickte ihr nach, wie sie auf die Eiche zuhielt. Hoffentlich   … Sie hörte sie laut aufjauchzen, sah sie die Arme ausbreiten. Ja, da ist sie genau wie ich, dachte sie gerührt und begann zu husten, weil sie von einer Rauchschwade eingenebelt wurde.
    Marie aber stürmte durch das Schattenfeld der Eichenkrone und hatte die Lichtung bald hinter sich gelassen. Ein Pfauenauge flatterte vor ihr her und lockte sie insUnterholz, dorthin, wo sie die letzten Tage einige verschrumpelte Brombeeren gefunden hatte. Marie folgte dem Schmetterling, vergeblich: Er schien klug zu sein, stieg hoch in die Luft und verschmolz mit dem Licht. Geblendet schloss Marie die Augen und suchte ein paar Schritte weiter noch einmal die Brombeerhecke ab. Zu ihrer Enttäuschung hatte sie nur eine einzige Beere übersehen. Sie presste sie langsam zwischen ihren Lippen aus, schluckte sie schließlich.
    Hunger, Hunger, dachte sie. Warum gab es dieses Jahr keine Bucheckern?
    Sie schlug die Richtung zum Karrachgraben ein. Sie wusste, der Bach war ausgetrocknet, glaubte sich aber daran zu erinnern, dass das Gras an einer Stelle grün gewesen war. Vielleicht waren dort ja Butterpilze gewachsen! Oder Schnittlauch, nein, noch besser, wilde Möhren. Bei dieser Vorstellung begann sie vor Freude in die Höhe zu hüpfen. Doch kaum berührten ihre Füße wieder die Erde, verlor sie das Gleichgewicht und stürzte. Noch im Fallen fiel ihr auf, dass die Welt verrückt spielte. Alles   … schwamm, bewegte sich, wurde irgendwie von unten gestoßen. Der Wald vor ihren Augen verschob sich, zitterte und schwankte. Die Erde verlor all ihre Festigkeit und wurde durchgerüttelt, als drehe sich unter ihr ein Mühlrad.
    Und das Entsetzliche war: Es hörte nicht mehr auf.
    Marie begann vor Angst zu schreien – wie das Vieh in den Ställen und auf der Weide, wie die Menschen in ihren Häusern oder auf den Plätzen Rothenburgs. Auch Hanna schrie, weil sie sah, wie zwei Kohlenmeiler barsten. Ohnmächtig sah sie mit an, wie Reisig und Gras, mit dem die Meiler abgedeckt waren, Feuer fingen und über den äußeren, halb verschwelten Holzring plötzlich blaue Flammen zuckten.
    «Die Meiler gehen durch! Helft mir doch!» Sie ruderte hilflos mit den Armen und taumelte auf die Hütte zu. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie der Feuerschacht einstürzte. Funken flogen und trieben auf die Lichtung zu, wo sie das vertrocknete Gras sofort in Brand setzten. «Vater, Arndt! Kommt! Schnell!»
    Es waren nur noch wenige Schritte bis zur Tür, und das Beben schien nun doch vorüber zu sein, da hörte sie einen hellen Knall. Der Giebel der Köhlerhütte neigte sich und mit ihm ein Drittel des Daches. Es ist der morsche Firstbalken, schoss es Hanna durch den Kopf. Er bricht.
    Das Herz blieb ihr stehen. Knirschen und Stöhnen erfüllten die Luft, darauf dumpfes Gepolter. Der Giebel stürzte ein und zog das halbe Dach mit sich.
    Nein, nicht!
    Doch da wankte schon Arndt schlaftrunken aus der Tür. Er hustete, rieb sich die Augen. Als er Hanna sah, lief er auf sie zu und zeigte entsetzt auf die Meiler: «Da! Schau hin! Sie gehen durch!»
    Doch Hanna hatte jetzt anderes im Kopf: «Vater! Wo ist er?» Sie packte Arndt bei den Schultern, schüttelte ihn.
    «Ja, wo wohl   …»
    Sie wussten es beide, es reichte ein einziger Blick.
    Doch Hanna handelte zuerst. Sie ließ Arndt stehen und stürzte in die Hütte. Er lag an seinem Platz auf dem Rücken. Hanna erkannte die Decke, unter der die Füße mit den gestopften Socken hervorlugten, daneben den Waschkrug, das Handtuch. Das war alles. Denn über dem Oberkörper und Kopf ihres Vaters türmte sich, was vom Giebel übrig geblieben war: Wandflechten, graubraune Lehmbrocken, Ständerwerk. Hanna packte ein noch nicht gekanntes Grauen, das Entsetzen schnürte ihr den Hals zu. So rasch sie konnte, räumte sie einen Teil des Schutts beiseite – und erstarrte, als sie auf den Firstbalken stieß:Dieser lag wie festgewachsen auf der zertrümmerten Stirn ihres Vaters.
    Sie begann zu zittern. Der Schmerz presste ihr die Brust zusammen, und ihre Knie gaben nach.
    «Arndt!» Verzweifelt rief sie nach ihm. Vergeblich. Dann hörte sie, wie es draußen immer lauter knisterte.
    Sie taumelte hinaus. Etliche Flecken der ausgetrockneten Lichtung qualmten schon. Arndt rannte wie ein gehetzter Hase umher, um die schnell hochschießenden Flammen mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher