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Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels
Autoren: Kay Cordes
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sich um. Sie standen mitten im Wald, einem gesunden, dichten Mischwald aus Eichen und Buchen. «Ihr wollt hier also roden. Nur, was ist mein Geschäft dabei? Bäume sollen weg, gut. Nehmen wir einmal an, alles ist gefällt, der Boden gerodet, das Holz abgefahren   …»
    «…   dann werdet Ihr hier Obstbäume pflanzen und sie veredeln.»
    «Ach so. Und deswegen bin ich hier?»
    «Ja. Ihr sollt sagen, ob der Boden etwas taugt», meinte Ulrich und stieg ebenfalls vom Pferd.
    Der Baumpelzer wollte etwas sagen, doch urplötzlich erfüllte wildes Geflatter die Luft. Eichelhäher kreischten, Stare pfiffen, und in der Nähe gickerte ein Habicht. Ulrichs Rappe wieherte, und die Fuchsstute des Baumpelzers stampfte mit den Hufen. Zischend sog dieser die Luft ein, während Ulrich glaubte, seine Augen spielten ihm einen Streich: Für die Dauer von zwei Herzschlägen schien der Wald zu wackeln und sich der Boden zu verflüssigen.
    «Ein Beben», murmelte der Baumpelzer verdrießlich. «Das bedeutet nichts Gutes. Gibt es hier wenigstens einen Bildstock?»
    «Ihr wollt beten? Warum?»
    «Ja, was glaubt Ihr denn, warum es gebebt hat. Gott ist zornig. Begreift Ihr es denn nicht? Könnt Ihr die Zeichen nicht deuten? Bauern, Weingärtner, Handwerker, Kleinhäusler hungern, Ihr aber prasst. Wir Händler machen keine Geschäfte mehr, Ihr aber stehlt uns die Zeit. Und wir Kleinen, die wir uns Gottes Nähe wünschen, verprellt Ihr mit solchen Ausgeburten der Hölle wie einem Johann Tetzel: Sobald der Gulden im Becken klingt, husch, die Seele in den Himmel springt. Das lässt die Erde zittern, Ritter. Das ist der Zorn des Herrn!»
    Ehrfürchtig sank der Baumpelzer in die Knie, faltete die Hände und betete. Ulrich war so verblüfft, dass er keinen Ton herausbrachte. Er wartete, bis der Händler sein Gebet verrichtet hatte, und stimmte am Schluss sogar laut in das Vaterunser ein. Dann kratzte er sich seinen wieder einmal juckenden Bart und beschloss endgültig, ihn vom nächstbesten Bartscherer abnehmen zu lassen.
    Schließlich sagte er: «Wenn Euer Herz für die Lutherischen schlägt, heißt das aber nicht, Ihr trinkt kein Bier mehr mit mir, oder? Ich würde Euch in die Schänke nach Windelsbach einladen.»
    «Danke. Aber ich habe geschworen, meiner neuen Überzeugung treu zu bleiben. Gerne mache ich Geschäfte mit Euch, aber sähe man mich mit Euch trinken, würde mir keiner meinen Sinneswandel abnehmen. Nehmt es bitte nicht persönlich.»
    Der Baumpelzer bestieg seinen Fuchs, wendete und schlug der Stute die Hacken in die Flanken.
    Schau einer an! Auf einmal hat er es nicht mehr mit der Langsamkeit, dachte Ulrich verstimmt. Jetzt reitet er geschwind wie ein Kurier. Und wohin? Sicher zu einem von diesen lutherischen Rädelsführern, die die Ordnung auf den Kopf stellen wollen. Wenn jetzt noch ein größeres Beben folgt   … es wäre Wasser auf die Mühlen aller Eiferer.
    Er griff nach den Zügeln, zog seinen Rappen mit sich. Nachdenklich schritt er voran. Es war zu warm, viel zu warm für diese Jahreszeit. Kein Wunder, dass er bereits am frühen Morgen an Schänken und an etwas zu trinken dachte. Und als er nach einer Weile Rauch roch, war sein Durst bereits so groß, dass er kurzentschlossen kehrtmachte, um zurück nach Rothenburg zu reiten.
     
    Hanna saß im sonnengefleckten Halbschatten der alten Eiche auf dem Ast, der am Tag zuvor heruntergebrochen war. Wie oft schon war sie hierhergekommen, um ihr trostloses Leben zu vergessen. Bislang hatte ihr die geheimnisvolle Aura des Baumes immer geholfen, für eine Weile Ruhe zu finden. Nur wer fühlen konnte, spürte die Kraft der in alle Himmelsrichtungen strebenden Äste. Nur wer sich darauf einließ, nahm die Spannung unter seiner Krone wahr, spürte das Saugen der Wurzeln und den Atem der Blätter.
    Je länger sie auf ihrem Ast saß, umso intensiver empfand Hanna die Ruhe dieser Eiche. Sie fühlte sich wohltuend von ihren Sorgen befreit. Sie schaute zur Krone des Baumes hoch. Als zöge dieser sie mit unsichtbaren Händen hoch, stand sie auf und schritt langsam um ihn herum.
    Sanft klopfte sie gegen den Stamm und streichelte die Borke. Wie es wohl wäre, könnte dieses jahrhundertealte Holz sprechen? Ihr von den Weltläuften erzählen? Gar über ihr Schicksal Auskunft geben? Hanna schien es, als höre der Baum ihre Gedanken, und auf einmal fühlte sie sich von seltsamen Bildern und Geräuschen umgeben. Sie waren nicht deutlich, eher schattenhaft und vielfach ineinander geblendet, aber
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