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Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels
Autoren: Kay Cordes
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verschluckte.
    Probieren wir es eben anders, sagte er sich und holte seinen letzten Apfel aus der Satteltasche. Er schob ihn Mahut ins Maul, kraulte ihm Scheitel und Ganaschen. Währenddas Tier den Apfel zermalmte, redete er beruhigend auf es ein: «Vorhin, da dachte ich, Gott wolle seine Welt zerreißen und uns alle in die Hölle schütteln. Vielleicht ist es doch nicht so schlimm. Vor zweihundert Jahren hat es schon mal ein solches Beben gegeben.»
    Jählings hob Mahut den Kopf. Er spitzte die Ohren, drehte sie, stand still. Ulrich hielt den Atem an, bis die Stimme zu ihm drang. Hab mich vorhin also doch nicht getäuscht, dachte er. Da ruft jemand. Eine Frau. Bestimmt ist es die Köhlerin.
    Mahut schnaubte leise und wandte den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam.
    «Marie? Arndt?»
    «Ja   … natürlich nein!»
    Ungeduldig zerrte Ulrich an Mahuts Zügel, doch sein Hengst blieb stur. Inzwischen wurden die Rufe lauter, sie kamen direkt aus der Rauchwand vor ihm.
    «Arndt? Hast du sie?»
    «Nein   … hierher!» Ulrich ließ Mahut stehen und rannte in den Rauch hinein. Nach nur wenigen Schritten war die Luft so beißend, dass es ihm auf der Zunge brannte. Er wandte sich ab, hustete und spuckte aus. Als er sich umdrehte, sah er sich plötzlich wie von Wänden umstellt: überall Rauch, Rauch, der zu allem Überfluss immer weiter aufquoll.
    «Arndt? Sag doch was!»
    Es knackte wieder im Unterholz. Die Stimme war ganz nah und klang so heiser wie verzweifelt.
    «Hierher!», rief Ulrich drängend.
    «Arndt?» Die Frau konnte nur noch krächzen.
    «Nein.» Beide erlitten sie einen Hustenanfall. Ulrich ruderte mit den Armen. Irgendetwas lag in dieser Stimme, das ihm vertraut schien. Keine Angst, ich helfe dir, dachte er im Stillen und wappnete sich, jeden Moment einerabgearbeiteten Köhlersfrau zu begegnen, die ihre Tochter suchte. «Hier bin ich, nur noch zwei, drei Schritte   …»
    Hanna tauchte so plötzlich auf, als hätte der Rauch sie ausgespuckt. Ihr Haar war aufgelöst, Arme und Beine zerkratzt. Wie angewurzelt blieb sie stehen und schlug erschrocken die Hand vor den Mund. Ulrich war nicht weniger verblüfft. Obwohl Hannas Gesicht schweißnass und ihre Augen blutunterlaufen waren, leuchtete sein Gesicht auf. Noch bevor er etwas sagen konnte, fiel Hanna vor ihm auf die Knie und umklammerte die Schäfte seiner Reitstiefel: «Edler Herr, verzeiht uns! Verzeiht uns um Christi willen, bitte. Es war das Beben. Wir waren nicht unaufmerksam. Das schwören wir. Die Meiler sind einfach durchgegangen, und weil es so trocken war   … Bitte, lasst Gnade vor Recht ergehen. Oder schont wenigstens meine Schwester.»
    «Die Marie, nicht wahr?», fragte Ulrich mit brüchiger Stimme.
    «Ja, edler Herr. Aber ich bin die Hanna. Mein Bruder heißt Arndt. Unsere Mutter ist tot, und unser Vater liegt in den Trümmern unserer Hütte.»
    Flehentlich schaute sie zu Ulrich auf, der wie eingefroren dastand. Er blickte auf Hanna herab, als sei sie ein lebendig gewordenes Traumbild. Bestürzung und Erstaunen erschienen auf seinem Gesicht, und es sah aus, als würde er erst nach und nach begreifen, was die junge Frau da vor ihm überhaupt redete und tat.
    «Keine Bange, steh auf.» Ulrich beugte sich hinab und legte die Hände um Hannas Schultern. «Ich tue euch nichts.» Er versuchte zu lächeln. Für einen kurzen Augenblick hielt er inne, dann fuhr er mit fester Stimme fort: «Natürlich war es das Beben. Ein starkes Erdbeben, das ist wahr. Vielleicht hat es Gott geschickt, vielleicht der Teufel. Du aber hast damit bestimmt nichts zu tun.»
    Der Bann war gebrochen, Hanna erhob sich. Sie hatte noch nie vor einem Edlen gestanden, geschweige denn mit ihm Worte gewechselt.
    Er schaut mich an, als hätte er mich schon einmal gesehen, durchfuhr es sie. Oder findet er mich so sonderbar, weil mein Äußeres so rußverschmiert ist? Sie schlug die Augen nieder, doch plötzlich lief ihr ein Schauder über den Rücken, weil ihr das Gerücht einfiel, der Rothenburger Komtur habe sich in einem der Dörfer an einer verheirateten Frau vergangen.
    Und dieser hier sieht auch nicht gerade wie ein nur verweichlichter, betender Ritter aus, dachte sie. Im selben Moment fiel ihr Blick auf Ulrichs Hände, und sie entspannte sich. Nein, sie sind nicht grobschlächtig, stellte sie erleichtert fest, auch wenn sie bestimmt zupacken können.
    «Wir müssen Marie finden, oder?»
    Seine ruhige, warme Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Verlegen schlug sie die
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