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Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels
Autoren: Kay Cordes
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anlüften und prüfen, ob sie noch dicht waren.
    Hanna trat ins Freie hinaus. Nicht weit von ihr entfernt entdeckte sie Arndt bei einem der Meiler. Da er beschäftigt war und sie nicht sehen konnte, beschloss sie, ein paar Minuten dieser frühen Morgenstunde ganz für sich allein zu genießen.
    Sie sann darüber nach, dass jeder, der sie kannte, ihr zu verstehen gab, dass sie anders war als die Mädchen Rothenburgs. Ihr eigener Bruder verspottete sie wegen ihres feinen Gesichts gar als Madonna vom Wald. Trotzdem verrichtete sie die gleiche Arbeit wie die beiden Männer. Ihre Hände waren genauso von Brandblasen gezeichnet und nach einer Schicht genauso schmutzig. Natürlich bekam auch sie kein Stündchen mehr Schlaf, dafür hatte sie aber zusätzlich das Kochen und die Wäsche am Hals. Und wenn Marie, die gerade zehn Jahre alt geworden war, Langeweile hatte, war sie es allein, die sich um sie kümmerte. Dennoch machte sie klaglos ihre Schichten und quälte sich sommers wie winters hoch, um nach den Meilern zu schauen.
    Zuweilen gab es Tage, an denen sie keinen Funken Kraft mehr in den Knochen spürte. Sterbensmüde sank sie dann ungewaschen auf ihr Lager. Das waren die Stunden, in denen sie froh war, keinen Spiegel wie die feinen Rothenburger Damen zu haben. Sie wusste nur zu gut, wie sie aussah: übernächtigt, mit geröteten Augen und einer Haut voller Asche und Ruß.
    Noch aber war sie jung, gerade einmal neunzehn Jahre alt, und erholte sich rasch. Ihr Vater sagte gerne: Hanna, du bist wie eine Wildrose, schön und lebensstark.
    Doch wie lange blühte eine Wildrose?
    Ihr Blick streifte über Holunder- und Hagebuttensträucher, die in diesem Herbst nur vertrocknete Beerenhervorgebracht hatten. Seit Ende Juni hatte es nicht mehr geregnet, seit Juli stach die Sonne von einem fleckenlos blauen Himmel herunter, und jetzt, Anfang Oktober, begann bereits das Laub zu fallen. Die Erde war rissig, das Gras strohig, sämtliche Heckenfrüchte der Rothenburger Landhege waren verkümmert. Äpfel und Birnen faulten schon am Baum, und auf den Feldern war so gut wie alles Getreide verdorrt. Nur wer unter unsäglichen Mühen Wasser aus der Tauber schleppte, fuhr wenigstens eine magere Getreideernte ein. Ihnen selbst war seit Wochen der Brunnen ausgetrocknet. Jeden Tag musste deswegen einer von ihnen nach Neusitz laufen. Es war eine echte Schinderei.
    Dabei war es bis in den Mai hinein viel zu kalt und regnerisch gewesen. Und jetzt? Während Hanna auf Arndt zuging, knackten abgestorbene Zweige unter ihren Füßen, so trocken war es.
    Arndt stand mit verschränkten Armen vor einem seit drei Tagen schwelenden Meiler. Müde stierte er auf den weißen Rauch, der sich unter der Decke aus Zweigen, Laub und Erde hervorkräuselte und anzeigte, dass das Holz noch nicht vollständig verschwelt war. Nur bei blauem Rauch war es fertig, erst dann konnten die armlangen Kohlestämme geerntet werden.
    «Arndt?»
    «Ja.»
    «Hast du es auch gehört?»
    «Was?»
    «Na, den Kuckuck!»
    «Na, den Kuckuck», äffte er sie aufgebracht nach. «Hört das denn alles gar nicht mehr auf? Den ganzen Sommer geht es schon so. Was ist los mit dir? Gestern flüsterte die Krone der Eiche, heute ist es der Kuckuck. Was kommt morgen? Nein, sag nichts, ich ahne es: unsere Tauber. Miteiner Geisterstimme, die nur du verstehst, gluckst dir das Wasser zu: Mensch, gib acht, es ist bald Mitternacht.»
    «Jaja, du kannst immer nur spotten», gab Hanna nicht minder heftig zurück, griff nach ihrem langen blonden Haar, holte es nach vorn und flocht einen dicken losen Zopf. «Besser wär’s, du würdest mal aufs Geld schauen. Damit wir mehr für unsere Kohle bekommen. Vater muss in die Stadt zum Bader, aber das hast du schon wieder vergessen, wie? Seinen faulen Zahn?»
    «Nein! Glaubst du, ich riech’s nicht? Und Marie braucht Tuch für ein Winterkleid. Aber was ist wichtiger? Beides auf einmal geht nicht. Wartet eben noch ein wenig   …, bald   … dann hab ich das Geld. Für beides.»
    «Wartet eben noch ein wenig   …» Jetzt äffte Hanna ihren Bruder nach. «Bald, wann ist das? Und wenn: Hast du bis dahin zaubern gelernt, oder wie?» Entschlossen warf sie ihren Zopf nach hinten und stemmte die Arme in die Seiten.
    «Zaubern? Am besten Geld herbeihexen, wie?» Auf Arndts breitem bäurischen Gesicht schien sich ein Gewitter zusammenzubrauen. Plötzlich jedoch lachte er lauthals auf. Doch bevor er etwas sagte, wandte er sich mit einer raschen Bewegung dem Meiler zu,
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