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Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn
Autoren: K Marlantes
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Kapitel 1
    M ellas stand unter den grauen Monsunwolken auf dem schmalen Streifen gerodeten Geländes zwischen dem Rand des Dschungels und der relativen Sicherheit des Stacheldrahtverhaus. Er versuchte, sich darauf zu konzentrieren, die anderen dreizehn Marines des Spähtrupps zu zählen, während sie in Reihe aus dem Dschungel herauskamen, aber die Erschöpfung beeinträchtigte seine Konzentrationsfähigkeit. Außerdem versuchte er – erfolglos –, den Geruch der Scheiße zu ignorieren, die in den halb mit Wasser gefüllten, offenen Latrinengruben oberhalb von ihm, auf der anderen Seite des Stacheldrahts, herumschwappte. Vom Rand seines Helms tropfte Regen vor seinen Augen herab und klatschte auf den satinartigen, olivgrünen Stoff, der die Panzerung seiner sperrigen neuen Schutzweste hielt. Das dunkelgrüne T-Shirt und die Boxershorts, die seine Mutter ihm erst vor drei Wochen gefärbt hatte, klebten unter seinem Tarnanzug schwer und klamm an seiner Haut. Er wusste, dass unter seinen feuchten Kleidern Blutegel an Armen und Beinen, Rücken und Brust hafteten, obwohl er sie noch nicht spürte. So war das mit Blutegeln, sinnierte er. Bevor sie anfingen, Blut zu saugen, waren sie so klein und dünn, dass man sie kaum spürte, wenn sie nicht gerade von einem Baum auf einen fielen, und wenn sie sich in die Haut bohrten, merkte man es gar nicht. Ihr Speichel enthielt irgendein natürliches Betäubungsmittel. Man entdeckte sie immer erst später, wenn sie blutprall von der Haut abstanden wie kleine schwangere Bäuche.
    Als der letzte Marine das Labyrinth aus Spitzkehren und primitiven Gattern im Stacheldrahtverhau betrat, nickte Mellas Fisher zu, dem Gruppenführer, einem von drei Leuten, die ihm unterstellt waren. »Elf plus wir drei«, sagte er. Fisher erwiderte das Nicken, hob bestätigend den Daumen und betrat den Verhau. Mellas tat es ihm nach, dicht gefolgt von Hamilton, seinem Funker.
    Der Spähtrupp ließ den Stacheldrahtverhau hinter sich, und die jungen Marines stiegen, vor Müdigkeit tief gebeugt, langsam den Hang der neuen Feuerunterstützungsbasis, FSB Matterhorn, hinauf, um geborstene Stümpfe und tote Bäume herum, die keinerlei Deckung boten. Das grüne Unterholz war mit K-Bar-Messern gelichtet worden, um Schussfelder für die Verteidigungslinien zu schaffen, und der früher von kleinen Wasserläufen durchzogene Dschungelboden bestand nur noch aus saugendem Morast.
    Die nassen Riemen seiner beiden Stoffgurte, jeder mit dem Gewicht von zwanzig voll geladenen M 16 -Magazinen, schnitten in seinen Nacken. Die Riemen hatten ihn wund gescheuert. Er wollte nur noch in seinen Unterstand zurück und sie ablegen, zusammen mit seinen durchweichten Stiefeln und Socken. Außerdem wäre er am liebsten bewusstlos geworden. Das allerdings war nicht möglich. Er wusste, er würde sich endlich mit dem drängenden Problem befassen müssen, das Bass, sein Platoon Sergeant, ihm an diesem Morgen vorgelegt und vor dem er sich unter dem Vorwand des Spähtruppunternehmens gedrückt hatte. Ein Schwarzer – an den Namen konnte er sich nicht erinnern, ein Maschinengewehrschütze aus der Dritten Gruppe – hatte sich über den Gunny aufgeregt, den Gunnery Sergeant, an dessen Namen Mellas sich ebenfalls nicht erinnern konnte. Allein in Mellas’ Zug gab es vierzig neue Namen und Gesichter und fast zweihundert in der Kompanie, und ob schwarz oder weiß, sie sahen alle gleich aus. Das überforderte ihn. Vom Skipper, dem Kompaniechef, abwärts trugen sie alle den gleichen verdreckten, abgerissenen Tarnanzug ohne Rangabzeichen, ohne Unterscheidungsmöglichkeit. Alle waren sie zu dünn, zu jung und zu erschöpft. Und alle redeten sie gleich, jedes vierte Worte war »Scheiße« oder irgendein Haupt-, Eigenschafts- oder Umstandswort mit diesem Bestandteil. Die drei Worte dazwischen handelten größtenteils von ihrer Unzufriedenheit mit dem Essen, der Post, der Zeit im Busch und den Mädchen, die sie in der Highschool zurückgelassen hatten. Mellas schwor sich, dass er das nicht mitmachen würde.
    Der Schwarze wollte raus aus dem Dschungel, um sich wegen seiner immer wieder auftretenden Kopfschmerzen untersuchen zu lassen, und einige von den Brothers machten zu seiner Unterstützung Stunk. Der Gunnery Sergeant war der Ansicht, dass der Junge simulierte und bloß einen Tritt in den Hintern brauchte. Dann weigerte sich ein anderer Schwarzer, sich die Haare schneiden zu lassen, und die Leute gerieten darüber in Harnisch. Von Mellas wurde
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