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Gott hat hohe Nebenkosten: Wer wirklich für die Kirchen zahlt

Gott hat hohe Nebenkosten: Wer wirklich für die Kirchen zahlt

Titel: Gott hat hohe Nebenkosten: Wer wirklich für die Kirchen zahlt
Autoren: Eva Müller
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Einleitung
    Im Sommer stellt Udo Maria Schiffers sein Motorrad immer direkt vor das Pfarramt. Es ist eine silbergraue BMW. Ravenna, Venezia, Rom: Die schon verblassenden Aufkleber zeigen, wo der Pfarrer seine Urlaubszeit verbringt. Wenn die Maschine da ist, ist auch er im Lande. Das Pfarrgebäude ist ein düsteres Haus, mit schwarzen Schieferplatten verkleidet. Was auch eine große Jagdhütte sein könnte, beherbergt in Königswinter-Ittenbach die Pfarrbücherei, das Pfarrbüro und Udo Maria Schiffers selbst. Als er die Tür öffnet, muss er sich fast bücken. Der Pfarrer ist ein Mann mit ruhigem Gang, in zwei Jahren wird er siebzig. Er bittet herein und führt vorbei am Tisch der Pfarrsekretärin, die schon Feierabend hat, in ein Hinterzimmer. Ein Kopierer für den Pfarrbrief steht dort, an der Wand ein Jesusbild. Gottes Sohn mit erhobenem Zeigefinger in leuchtenden Farben. »Ich schwinge gerne mal selbst den Pinsel«, erzählt der Pfarrer, bevor er sich an den Tisch setzt und die Nickelbrille putzt. Die Stühle kennt man aus Jugendherbergen: helles, massives Holz mit violetter Lehne. Der Vorhang war mal weiß. Über dem Kopierer hängen vier goldene Heiligenfiguren. »Sie saß genau da«, sagt Pfarrer Schiffers und zeigt auf die gegenüberliegende Tischseite. Er meint Bernadette Knecht, die Kindergartenleiterin des Nachbarortes Rauschendorf. Pfarrer Schiffers war ihr Vorgesetzter, er hat sie entlassen.
    »Was sie getan hat, ist zunächst einmal der objektive Tatbestand des Ehebruchs«, sagt Pfarrer Schiffers und schaut kurz auf. Er möchte genau erklären, warum er sich für die Kündigung entschieden hat. »Die Ehe ist für uns Katholiken ein Abbild der Treue Gottes zu den Menschen und deshalb ist sie uns heilig und bis zum Lebensende bindend.« Wer die Ehe bricht, der kann kein gutes Vorbild mehr sein, sicher keinen Kindergarten leiten, keine Personalverantwortung tragen. So sieht es Pfarrer Schiffers. So sagt es das kirchliche Arbeitsrecht. Deshalb die Kündigung.
    Nur wenn Bernadette Knecht einen richtig guten Tag hat, muss sie nicht weinen, wenn sie von dem Gespräch im Pfarrzimmer erzählt. Auch heute noch erinnert sie sich an jedes Detail. Neun Jahre lang hatte sie den Kindergarten in Rauschendorf geleitet, dann sollte sie gehen. Sie hat die kinnlangen blonden Haare hinter die Ohren gestrichen und trägt einen strahlend weißen Pullover, unter dem ein Blütenhemd hervorlugt. Bernadette Knecht ist eine sportliche Frau, doch heute liegen ihre Hände so müde auf ihren Oberschenkeln, als gehörten sie nicht zu ihr. Sehr genau erinnert sie sich daran, wie sie zu Pfarrer Schiffers ins Pfarrbüro gegangen ist, um sich Rat zu holen.
    »Die Entscheidung, meinen Mann zu verlassen, ist mir sehr schwergefallen – überhaupt mit dieser Situation umzugehen«, erzählt sie. »Wir waren eine Familie. Zwar sind die Kinder aus dem Haus, aber trotzdem ist auf einmal nichts mehr so, wie es vorher gewesen ist. Die Akzeptanz der Familie ist natürlich auch nicht da, wenn man geht. Damit bin ich überhaupt nicht fertiggeworden. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. In dieser Situation dachte ich, der Pfarrer hilft mir. Aber mit dem, was dann passiert ist, habe ich nicht im Traum gerechnet.« Bernadette Knecht zieht die Augenbrauen hoch, aber die Tränen kommen trotzdem. »Ich kann es gar nicht beschreiben«, formuliert sie leise. »Pfarrer Schiffers Worte waren: ›Es tut mir leid, Frau Knecht, Sie sind ein schädliches Ärgernis und daher müssen Sie gehen.‹« Bernadette Knecht atmet einmal tief ein. »Ich habe gedacht: Er ist doch nicht nur mein Arbeitgeber, sondern auch Seelsorger und wir werden schon eine Lösung finden. Aber er blieb dabei. Am Ende habe ich nur gesagt: ›Sie können mich hinauswerfen, aber ich weiß, Gott wird auf meinen Wegen sein.‹ Und der Pfarrer antwortete: ›Da seien Sie sich nicht so sicher.‹ Und damit war das Gespräch beendet.«
    Pfarrer Schiffers runzelt die Stirn. »Natürlich darf sie denken, darf sie glauben, dass Gott weiter auf ihrer Seite ist. Aber, und das habe ich ihr auch gesagt, wir müssen in schwierigen Lebenssituationen aufpassen, dass wir uns nicht ein Gottesbild zurechtzimmern, wie es uns gerade passt. Eine Ehe soll die Treue Gottes zu den Menschen widerspiegeln, sichtbar machen. Und wenn eine Kindergartenleiterin das nicht mehr zeigen kann, ist das ein schädliches Ärgernis. Dann muss sie gehen.«
    Bernadette Knecht ist eine von Hunderttausenden Menschen in Deutschland, die in
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