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Gott hat hohe Nebenkosten: Wer wirklich für die Kirchen zahlt

Gott hat hohe Nebenkosten: Wer wirklich für die Kirchen zahlt

Titel: Gott hat hohe Nebenkosten: Wer wirklich für die Kirchen zahlt
Autoren: Eva Müller
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Das sei eine ungebrochene Tradition. »Aber sonst sind wir hier auch keine Insel der Seligen«, erklärt er. Bei der letzten Kommunionsfeier sorgte Pfarrer Schiffers im Ort für Aufregung, weil er drohte, den Gottesdienst abzubrechen, wenn es in der Kirche nicht ruhiger würde. Einige Familien verließen daraufhin empört das Gebäude. »Wenn man die heilige Messe nicht achtet, kann man es auch lassen«, begründet der Pfarrer sein Handeln. Seit dreißig Jahren ist er hier. »Manchmal denke ich, dass von den Brautleuten, die ich vorbereitet und getraut habe, ein paar mehr durchhalten als anderswo, weil ich ihnen einige Dinge aus langer seelsorgerischer Erfahrung mit auf den Weg gebe. Aber ich führe da nicht Buch drüber, deshalb ist das nur ein Eindruck oder eben eine Einbildung.«
    Die Kindergartenleiterin Bernadette Knecht hat nicht durchgehalten. Darum ist sie vor einem Jahr, im Herbst 2011, zu ihm gekommen und hat um Rat und Hilfe gebeten.
    »Wenn es gar nicht mehr geht, darf man ja auseinandergehen«, meint Pfarrer Schiffers. »Aber da kenne ich aus meiner Kindheit ein paar Fälle, wo Leute, ohne wieder zu heiraten, tapfer durchgehalten haben, auf eine sehr vorbildliche Art und Weise. Also das geht schon.« Genau das habe er Frau Knecht auch geraten. »Wenn sie keine Möglichkeit sieht, bei ihrem angetrauten Mann zu bleiben, hätte ich ihr gewünscht, dass sie es schafft, alleine zu bleiben.« Der Pfarrer läuft weiter das Kirchengelände entlang. »Der eigentliche Fehler ist nicht, dass sie ausgezogen ist aus der bestehenden Ehe, sondern dass sie eingezogen ist bei einem neuen Partner.« Das sei das Problem. Damit habe sie gegen die christliche Grundordnung verstoßen und die sei eben Bestandteil ihres Arbeitsvertrages. »Wenn ein Kindergarten eine katholische Einrichtung ist, dann ist es wichtig, dass das Personal, besonders das leitende Personal, nicht nur unsere Glaubensauffassungen vertritt, sondern auch selbst lebt.«
    Das ist nicht nur die Überzeugung von Udo Maria Schiffers, sondern auch die der katholischen Kirche und deshalb schreibt der Pfarrer nach seinem Gespräch mit Bernadette Knecht einen Brief an das Erzbistum Köln. Im Betreff steht »Kita Rauschendorf – Kündigung wegen Gefahr des Ärgernisses«.
    Schiffers skizziert darin die neue Lebenssituation seiner Angestellten, also dass Bernadette Knecht und ihr neuer Partner entschlossen seien, »ihr gemeinsames Leben fortzusetzen«. Weiter führt er aus, dass das Kindergarten-Team bereits Bescheid wisse, weil Bernadette Knechts neuer Partner als Kirchenvorstand der Gemeinde für die Einrichtung zuständig und dort oft zu sehen sei. Deshalb lasse »sich die neue Beziehung der beiden nicht verbergen«. Trotz des Verzichts auf zivile Eheschließung sei die Gefahr eines »schädlichen Ärgernisses« gegeben, wenn Frau Knecht weiterhin die betreffende Einrichtung leite. Das Schreiben schließt er mit den Worten: »Da wegen der besonderen Qualität der Kita Rauschendorf und der Beliebtheit der Leiterin Frau Knecht mit Unruhen zu rechnen ist, bitte ich um eine Bestätigung, dass die Auflösung des Arbeitsvertrages mit Frau Knecht unumgänglich ist. Mit – leider recht bedrückten – Grüßen, Udo M. Schiffers.«
    Jede dritte Ehe in Deutschland geht auseinander. Normalerweise interessiert das den Arbeitgeber nicht. Aber bei der katholischen Kirche gilt: Wenn die Ehe scheitert, ist der Job in Gefahr. Denn eine neue Beziehung nach einer katholisch geschlossenen Ehe ist einer von vielen möglichen Kündigungsgründen, die über die sogenannte Grundordnung des kirchlichen Dienstes im kirchlichen Arbeitsrecht festgelegt sind. Woher kommt dieses besondere Recht? Und für wen gilt es?
    Insgesamt arbeiten etwa 1,3 Millionen Menschen in Deutschland für die beiden großen Kirchen. Damit sind sie der größte Arbeitgeber des Landes nach dem Staat. Im sozialen Bereich beherrschen die beiden christlichen Kirchen den Markt, auf dem Land haben sie sogar oft das Monopol. Das betrifft vor allem die Kinderbetreuung, die Krankenpflege und die Weiterbildung.
    So war das nicht immer: Noch 1950 hatten sie nur 260   000 Mitarbeiter und die Hälfte davon waren Pfarrer, Priester und Ordensangehörige. Heute sind es weit über eine Million Menschen, die für die Kirche arbeiten, und der Anteil an geweihtem Personal liegt bei unter fünf Prozent.
    Die Kindergartenleiterin Bernadette Knecht gehört nicht zu den fünf Prozent, sondern zu den fünfundneunzig Prozent »zivilem«
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