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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
Autoren: Franka Potente
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Ein leichter Wind wehte. Morgensonne am tiefblauen Himmel.
    Jeden Herbst erreichten die Santa-Ana-Winde Los Angeles. Fallwinde, die feinen roten Staub aus der Sierra Nevada und der Mojave-Wüste mit sich brachten. Erst kam der rote Wind, dann der Regen, der Straßen in Sturzbäche verwandelte und die Erde ins Rutschen brachte. Herbst und Winter. Zeit der Aufruhr.
    Feiner roter Staub hatte sich über Blätter und Blüten gelegt. Schwächte die Kraft der Farben. Dennoch sah der Garten einladend aus. Orangerot blühte die Akelei, Lupinen wiegten sanft ihre schweren Blüten im Wind. Daneben ein blauer Natternkopfbusch.
    Der Rasen im vorderen Teil des Gartens war auf ordentliche vier Zentimeter gekürzt. Das Grün hatte sich auch hier mit Rostrot gemischt, der Rasen hatte eine stumpfe braune Farbe angenommen.
    Ascheflocken waren vom Pool herübergeweht und bedeckten vereinzelte Grashalme. Sandsteinplatten führten zum Pool. Dorthin, wo sich der Garten zu einer großen Fläche öffnete, die von dichten, haushohen Büschen umschlossen wurde.
    Grau gefärbter Sandstein auch rund um den türkis gekachelten Pool. Dort, wo die Flammen geleckt hatten, war Ruß zu sehen. Filigrane Zitronenbäume in sorgfältiger Reihe. Geschmackvolle türkisfarbene Kübel, flankiert von großen azurblauen Tonbottichen, in denen »Mule’s Ears«, eine kalifornische Art der Sonnenblume, wucherten.
    Es roch verbrannt.
    Wie ein gefällter Baum lag er da. Über zwei Meter lebloses Fleisch. Neben dem Pool, die Wange auf dem aschegrauen Sandsteinboden. Beine leicht verdreht. Blau gestreifte Pyjamahosen, ein abgewetzter offener Bademantel, dessen loser Gürtel in den Pool hing.
    Ein trockenes Blatt hatte sich in seinem Haar verfangen.
    Zerbrochenes Glas neben der großen Hand. Zwischen Daumen und Zeigefinger hatte er sich geschnitten, getrocknetes Blut auf dem Sandstein. Gesicht und Haar stumpf von Staub und Asche. Der rechte Hausschuh war in den Pool gefallen. Den trockenen Pool, dessen Boden jetzt mit einem riesigen Berg verkohlter Gegenstände und Ruß bedeckt war. Die Überreste seines vorherigen Lebens. Kein Türkis mehr zu sehen. Der Hausschuh lag unversehrt obenauf, er musste nach dem Feuer hineingefallen sein.
    Weinroter Filz mit dunkelgrünen Karos.

1
Vier Wochen zuvor
    Der steife Hemdkragen schnitt in den Hals. Umständlich versuchte er, den Karton auf dem rechten Knie zu balancieren. Unerbittlich brannte die Sonne auf sein dunkelblaues Baumwolljackett. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn und Oberlippe gebildet. Feucht lief ihm der Schweiß den Rücken herunter.
    Das Türschloss klemmte. Er drückte so fest an dem Schlüssel herum, bis er sich zu verbiegen begann.
    Fuck!
    Er biss die Kiefer so hart aufeinander, dass ihm das Gesicht wehtat. Schließlich gab das Schloss nach, und er konnte die Tür öffnen. Da rutschte der Karton ab und fiel krachend zu Boden.
    Genervt trat er nach dem Locher. Das Metall hinterließ beim Aufprall ein Loch in der weißen Wand.
    Kurz schloss er die Augen, atmete heftig aus, lockerte die Krawatte. Ein hastiger Blick. Die Straße war leer. Kein Nachbar, kein Passant zu sehen. Nur flirrende Hitze, grelles Sonnenlicht, das parkende Autos stumpf und staubig erscheinen ließ.
    Dann fiel die Haustür hinter ihm ins Schloss. Die Stille entspannte ihn sofort. Er löste die Krawatte vollends und ließ sie achtlos auf den Boden fallen. Irgendwo zwischen die Dinge aus dem Karton. Das Jackett dazu. Er riss so heftig am Kragen, dass die Knöpfe vom Hemd absprangen.
    Bevor er es in die Ecke warf, rieb er sich das Gesicht damit ab.
    Schummriges Licht. Die Luft stand. Seit Tagen hatte er kein Fenster geöffnet. Aus der Küche das leise Brummen des Kühlschranks.
    Die Muskeln in Gesicht und Nacken lösten sich, der Atem entspannte sich. Schwer lehnte er sich an die Wand und ließ sich langsam hinuntergleiten.
    Mit halb geschlossenen Augen saß Tim Wilkins da. Die Geräusche des Alltags, den er jahrelang gekannt hatte, wichen jetzt sirrender Einsamkeit. Seit fast dreißig Jahren lebte er in diesem Haus. Sie hatten es nach der Hochzeit gekauft. Der Sohn war hier aufgewachsen. Vor zehn Jahren hatten sie renoviert, irgendwann später den Pool eingebaut. Die Kacheln aus Mexiko importiert.
    Unzählige Geburtstage gefeiert. Weihnachten zu dritt, dann zu zweit. Zu Thanksgiving Truthahn gegessen, Unabhängigkeitstag, Freunde, Verwandte waren ein und aus gegangen.
    Früher war er jeden Morgen eine Runde geschwommen. California
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