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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel
Autoren: Ma2
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PROLOG
    Schwarz hing der Himmel über den Gassen von Eisenheim. Seelen regneten als menschliche Tropfen von ihm herab, farblose Gestalten, die kurz darauf frierend in ihren Häusern landeten, über die Straßen flanierten oder durch die Fabriktore des Schlotbarons strömten, während andere bereits wieder verschwanden, weil ihre Körper in der realen Welt aufgewacht waren. Wer zurückblieb, hastete bibbernd durch die Straßen und machte, dass er ins Warme kam. Jedenfalls wenn er konnte.
    Die Dame rieb die behandschuhten Finger aneinander und zog sich ihr Pelzcape fester um die Schultern. Trotz der Decke, die sie auf der Rückbank des Oldtimers über ihre Beine gebreitet hatte, fühlten ihre Füße sich taub in den geknöpften Stiefelchen an. War es in Eisenheim schon immer so kalt gewesen? Die Dame versuchte, sich zu erinnern, kam jedoch zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. Dafür verließ sie die schützenden Mauern von Notre-Dame viel zu selten. Möglicherweise war es schlicht der Schock, nach Monaten wieder einmal draußen zu sein.
    Ihr war keine Wahl geblieben. Ein Hinweis auf die Prophezeiung hatte sie in die Nacht hinausgetrieben. Auch wenn er ins Leere geführt hatte, sie war froh, ihm nachgegangen zu sein. Jedes Fitzelchen Information über Flora und den Weißen Löwen konnte von Bedeutung sein.
    Der Wagen holperte über das Kopfsteinpflaster von Graldingen und die Dame hoffte, bald da zu sein. Nun, da sie mit leeren Händen zurückkehrte, hatte sie keine Freude mehr an der frischen Luft oder dem Anblick der Stadt, die ihr sonst so gefielen. Genau wie alle anderen wollte sie nur noch vor ein prasselndes Kaminfeuer. Eine Tasse Tee trinken. Frisch aufgebrüht und mit einem Schuss Likör …
    Doch statt aufs Gas zu treten, verlangsamte der Chauffeur das Auto. Die Fahrt geriet ins Stocken, weil ein mit der glänzenden Hülle eines Luftschiffs beladener Transporter ihren Weg kreuzte. Mehrere Wagen mühten sich damit ab, das Ungetüm von einem Zeppelin durch die Gasse zu quetschen. Da war kein Durchkommen.
    Der Chauffeur fluchte und schob sich ein nach Anis duftendes Bonbon in den Mund. »Das wird dauern«, brummte er, das Bonbon klackerte gegen seine Zähne.
    Das Luftschiff füllte jetzt die gesamte Windschutzscheibe aus, silberne Stoffbahnen zwischen bröckelnden Stuckfassaden.
    Unter ihrer Maske presste die Dame die Lippen aufeinander und schloss die Augen. Vermutlich würde sie zu spät zu ihrer Verabredung kommen. Zu spät und tiefgekühlt wie ein Fischstäbchen. Warum hatte sie bloß ein Automobil ohne Flugantrieb ausgesucht? Weil sie es hasste, den Boden unter den Füßen zu verlieren, nun gut. Dennoch war es wenig vorausschauend gewesen, zur Hauptverkehrszeit die inneren Stadtbezirke durchqueren zu wollen. Die Dame ärgerte sich über sich selbst.
    Die Minuten verstrichen, während das Luftschiff in Zeitlupe vor ihnen über die Straße kroch und das Klackern des Anisbonbons immer lauter und ungeduldiger wurde. Das Trommeln von Fingern auf dem Lenkrad gesellte sich dazu. »Nun, wir können uns nicht an jede Verkehrsregel halten. Ich setze zurück«, entschied der Chauffeur schließlich und legte den Gang ein.
    »Gute Idee«, pflichtete die Dame ihm bei.
    Hinter ihnen hupte jemand, als sie sich in Bewegung setzten.
    »Platz da!«, rief ihr Chauffeur und kurbelte das Fenster herunter, sodass ein Windhauch sie frösteln ließ. »Das ist ein Notfall, wir–«
    Die Dame erfuhr nicht mehr, welche Ausrede er den hinter ihnen Wartenden hatte auftischen wollen, denn in diesem Augenblick knallte etwas auf das Dach ihres Wagens und hinterließ eine gewaltige Delle im Blech gleich über dem Kopf der Dame. Sie stieß einen spitzen Schrei aus und warf sich zur Seite. Direkt neben ihrem Gesicht schabte der Flügel eines Schattenpferdes über die Fensterscheibe. Was ging hier vor?
    Die Dame wollte sich gerade aufrappeln, ihren Hut zurechtrücken und den Schaden inspizieren, da traf etwas den Kofferraum. Es schepperte ohrenbetäubend. Dann passierten mehrere Dinge gleichzeitig. Ein Wiehern zerriss die Nacht, ein Huf bohrte sich in die Motorhaube, ein anderer zertrümmerte die Windschutzscheibe und die Nase ihres Chauffeurs mit einem einzigen Tritt.
    Glas splitterte.
    Blut spritzte.
    Der Chauffeur heulte vor Schmerz.
    Qualm stieg vom Motorblock auf, dessen Tuckern sich zum Röcheln eines sterbenden Tieres verzerrte.
    »Nein!«, rief die Dame und: »Hilfe!« Verzweifelt klammerte sie sich an den Türgriff und machte sich so
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