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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe
Autoren: Veronika Rusch
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jemanden zu verlieren, noch einen Familienangehörigen, Freunde, etwas, woran sie hingen. Und die Fäden der’Ndrangheta waren fein gesponnen, sie durchdrangen jedes Haus, jede Freundschaft, jedes Wort.
    Die Menschen hatten Dott. Isotti gemocht, geachtet und respektiert. Er hatte alle, die zu ihm gekommen waren, gleich behandelt und Schusswunden ebenso verarztet wie ein aufgeschlagenes Knie oder eine Halsentzündung. Und jetzt war er tot. Ein Mord geschah niemals ohne Grund. Ehrenvolle, geachtete Männer wie den alten Dott. Isotti tötete man nicht aus Versehen. Nicht einmal sie taten das. Und doch war es passiert. Die Menschen von San Sebastiano brauchten eine Weile, um zu begreifen, was das bedeutete: Etwas war eskaliert. Sie hatten schnell reagieren müssen, auf die Ungeheuerlichkeit, die sich der Junge gestern Abend erlaubt hatte. Und nicht nur Dott. Isotti war tot. Auch der Journalist, der sich so seltsam benommen hatte. Niemand wusste, weshalb er sich erschossen hatte, aber jeder ahnte den Zusammenhang. Zwei Menschen waren gestorben. Doch auf wundersame Weise hatte das nichts geändert. Der Junge stand noch immer da mit diesem Schild in der Hand, auf dem die Worte standen, die die Menschen kaum zu lesen wagten, geschweige denn, sie auszusprechen. Es gab Gesetze, die man nicht ungestraft brach. Es würde noch etwas passieren müssen. Vielleicht noch heute Nacht. Sie wussten alle, es wäre besser, sicherer, nachhause zu gehen, die Türen zu verschließen und abzuwarten. Den Jungen auf dem Platz zu vergessen, ihn einfach nicht zu beachten. Doch sie konnten es nicht. Alle blieben sie. Diejenigen, die Mitleid mit Filippo hatten, das sie nicht zu zeigen wagten, ebenso wie die anderen, die es kaum ertragen konnten, den Jungen hier noch lebend stehen zu sehen.
     
    Plötzlich flog ein Stein. Er war ungenau gezielt und landete folgenlos vor Filippos Füßen. Er zuckte dennoch zusammen. Chiara sprang auf. Nichts bewegte sich. Keiner drehte sich um, niemand lief davon. Es war unmöglich zu sagen, woher der Stein gekommen war. Das Mädchen wich einen Schritt zurück, dann schrie sie: »Ihr feigen Schweine!« Ihre Stimme zitterte, und man konnte die Angst darin hören. Der zweite Stein war größer. Er verfehlte knapp Filippos Ohr und riss eines der Bilder hinter ihm herunter. Die Menschen schwiegen. Keiner sah Filippo und dem Mädchen, das mit panisch aufgerissenen Augen versuchte, die Richtung auszumachen, aus der die Gefahr kam, ins Gesicht.
    Dann erfasste sie eine merkwürdige Unruhe. Erregtes Flüstern machte sich breit, und es kam Bewegung in die Menge. Sie teilte sich vor einer Gestalt, die aus der Dunkelheit auf den Platz geschritten kam. Eine magere, verhärmte Frau mit dünnem schwarzem Haar zu einem nachlässigen Pferdeschwanz gebunden, aus dem ihr die Strähnen ins Gesicht hingen.
    Francesca Malafonte ging langsam, ihr Gesicht leuchtete in der Dunkelheit weiß wie das eines Gespenstes. Sie hatte über eine Stunde gebraucht von Torre Calo zu Fuß hier herunter, und sie konnte sich nicht mehr daran erinnern. Sie war einfach gegangen. Hatte alles hinter sich gelassen, dort oben, hatte sich immer weiter entfernt und war schließlich angekommen.
    Chiara packte Filippo am Arm und flüsterte: »Das ist Angelos Mutter.«
    Filippo starrte die kleine Frau an, die mit starren Augen und ohne irgendeine Regung im angespannten Gesicht auf ihn zukam. Hatte sie die Steine geworfen? Wollte sie ihn töten, weil er ihren Sohn zur Schau gestellt, verraten hatte? Filippo trat einen Schritt zurück. Das erste Mal, seit er hier stand, hatte er wirklich Angst. Keine Furcht, Aufregung, Ungewissheit, was passieren würde, sondern Angst. Sie packte seine Eingeweide, klammerte sich an sein Herz und lähmte seinen Verstand. Seine Augen glitten über das bleiche Gesicht mit den hellen, unheimlich entrückten Augen hinunter zu dem Bündel, das sie in der Hand hielt und ihm wurde kalt. Diese Frau hielt eine tote Katze in ihrer Hand. Eine weiße Katze. Sie trat zu ihm und sah ihn an. Filippo spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er wollte fliehen vor den unerbittlich leeren Augen dieser Frau. Ihr Blick durchdrang ihn, bohrte sich tief in seine Seele, und auf einmal konnte Filippo ihren Schmerz darin fühlen, ihre Trauer, ihre Verlorenheit. Und seine Angst löste sich auf. Die Frau drehte sich um und sah hinaus in die Menge, die sich wieder zusammengerottet hatte und atemlos wartete, was passieren würde.
    Die Frau wandte sich an diese dunkle
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