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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe
Autoren: Veronika Rusch
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extra gezogen und dann wieder wegradiert hatte. Wie ein Kind in der Schule.
    Clara stand auf, holte einen Reißnagel aus der Schublade und pinnte die Karte an die Wand. Das blaue Meer leuchtete und verhieß sonnigen Süden, Urlaub, Wärme, während ein wütender, kalter Mairegen gegen das Fenster prasselte. Sie strich mit den Fingern über den glänzenden Karton, dann trank sie ihren Tee aus.
     
    Später, am Nachmittag holte sie ihren dicken Schafwollpullover, den sie eigentlich schon mit den übrigen Wintersachen eingemottet hatte, aus dem hintersten Fach ihres Schrankes und zog sich ihre alte speckige Wachsjacke über. Die Haare versteckte sie unter einer Schirmmütze. Elise betrachtete sie besorgt. Sie schien zu überlegen, was um Himmels willen diese Frau jetzt schon wieder für eine Verrücktheit vorhatte. Sie würde doch nicht …? Sie wollte doch nicht etwa …? Elise seufzte, als Clara mit aufmunterndem Gesichtsausdruck nach der Leine griff und sagte: »Na komm, Dicke, frische Luft tut uns gut!« Dann kletterte Elise umständlich von der Couch herunter und streckte sich gähnend. Sie warf Clara einen vorwurfsvollen Blick zu, der besagte: »Wenn du unbedingt rausmusst, gilt das noch lange nicht für mich.«
    Draußen hatte der Regen aufgehört. Die Luft war frisch und klar, und die Blätterknospen an den Bäumen leuchteten hellgrün gegen den grauen Himmel. Elise trabte voraus, wieder einigermaßen versöhnt mit dem Wetter, wobei sie jedoch um jede Pfütze einen respektvollen Bogen machte. Ganz anders Clara, die mit kindlicher Freude in die glänzenden Lachen trat, dass es nur so spritzte. Sie gingen an der Isar entlang, dann über die Brücke stadteinwärts. Die Gehsteige waren leer, nur wenige Fußgänger hatten sich hinausgewagt, und die Autos jagten vorbei. Clara kümmerte es nicht, dass das schmutzige Rinnsteinwasser an ihren Beinen hochspritzte. Sie ging schnell, die Hände in den Jackentaschen, und freute sich über den Wind, der ihre Nase und ihre Wangen rot färbte.
    Irgendwann, sie waren schon lange unterwegs, und es begann bereits zu dämmern, verlangsamte Clara ihren Schritt. Ihre Beine kribbelten in der feuchten Jeans, und ihre Haare kringelten sich längst schon wieder unter der Mütze heraus. Sie kannte die Häuser, die Straße, in die sie gerade eingebogen war. Es war ihr gar nicht aufgefallen, dass sie schon so weit gelaufen waren. Clara blieb stehen, und Elise, die gerade hingebungsvoll an einer Eingangsstufe schnüffelte, hob fragend den Kopf. Clara zögerte. Sie sollten umkehren. Andererseits … Sie ging im Geist die Straßen durch, geradeaus, dann rechts und an der Bäckerei links … Es war nicht mehr weit, höchstens zwanzig Minuten.
    Clara atmete tief ein und dachte an die blaue Karte an ihrer Küchenwand. Dann zündete sie sich eine Zigarette an und umrundete unschlüssig einen der sorgfältig zurechtgestutzten Ahornbäume auf dem Gehsteig. In dem schmalen Stück Wiese, das um den Baum herum vom Pflaster ausgespart worden war, hatten mindestens drei Hunde von unterschiedlicher Größe und Verdauung ihr Geschäft verrichtet. Clara wandte sich ab, und dann, plötzlich, unwiderruflich und innerlich jubelnd, fasste sie sich ein Herz. Sie ließ den Baum hinter sich und beschleunigte ihren Schritt. Elise musste sich beeilen, ihr zu folgen. Sie trabte eine Weile neben ihr her, dann verlangsamte sie ihr Tempo wieder. Wie konnte man, wenn man schon spazieren ging, so eine Lauferei daraus machen? So entgingen einem doch die Gerüche um sich herum an den Hausecken und Bäumen, an den Eingangstüren und den Plakatwänden, den Geschäften und Mülltonnen und all die interessanten Geschichten, die sie zu erzählen hatten. Clara hastete weiter. Plötzlich schien es, als wäre sie nicht schnell genug, als käme sie nicht mehr rechtzeitig. Elise blieb nichts anderes übrig, als sich von den Hausecken loszureißen und ihr Tempo ebenfalls zu erhöhen, wollte sie ihr unberechenbares Frauchen nicht aus den Augen verlieren. Sie tat es beleidigt, mit hoch erhobenem Kopf, den Blick stur geradeaus gerichtet. Als sie in weniger als einer Viertelstunde vor der grünen Tür ankamen, war Clara warm geworden, und sie musste stehen bleiben, um zu verschnaufen. Elise warf ihr einen kühlen Blick zu: »Das hat du jetzt davon!« Clara nahm die Mütze ab und fuhr sich durch die verschwitzten Locken. Dann, ohne sich noch einen Gedanken zu erlauben, öffnete sie die Tür.
    Das Lokal war zu dieser Tageszeit noch fast
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