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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe
Autoren: Veronika Rusch
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heute sogar Carmine mit seiner Frau und den Kindern zum Essen, ich sollte etwas vorbereiten.«
    Francesca nickte. »Tu das, Rosa. Er wird sich freuen«, sagte sie. Carmine, Rosas Sohn, kam nie zum Essen, auch wenn Rosa immer wieder davon sprach. Er wohnte mit seiner Familie unten an der Küste, und Francesca hatte ihn schon mindestens ein halbes Jahr nicht mehr gesehen. Sie begleitete die alte Frau zur Tür und sah ihr nach, wie sie die abschüssige Straße hinunterging und in ihrem Haus verschwand. Dann schloss Francesca sorgfältig die Tür und nahm den braunen Umschlag. Sie drehte ihn in ihren Händen, betastete ihn, betrachtete ihn von allen Seiten. Clara Niklas stand dort und eine Adresse in München. Sie kannte beides nicht. Nicht den Namen und auch nicht die Straße. Der Brief kam von einer Fremden, nicht von Rita Zaccardi, wie sie zuerst vermutet hatte. Sie riss ungeschickt die Lasche auf, und etwas fiel heraus und zu Boden. Sie hob es auf. Es war ein kleiner Plastikbeutel. Als sie sah, was er enthielt, sank sie langsam auf ihren Stuhl zurück. Sie holte die Kette ihres Sohnes, die sie ihm vor vielen Jahren geschenkt hatte, heraus und legte sie auf den Tisch. Dann faltete sie das kleine Stück Papier auseinander. Als sie den heiligen Thaddäus in zuckrigen Farben darauf erkannte, schluckte sie heftig und wandte schnell den Blick ab. Sie brauchte eine ganze Weile, bis sie in der Lage war, sich dem Brief der Unbekannten zu widmen, der, auf einfaches Karopapier geschrieben, den Sachen ihres Sohnes beilag.
    Sehr geehrte Signora , begann er. Francesca war nicht sehr gut im Lesen, da sie selten mehr als die Preise der Sonderangebote im Supermarkt las und hie und da ein amtliches Schreiben. Dieser Brief war in einem etwas merkwürdigen, ungeschickten Italienisch geschrieben, manche Wörter passten nicht wirklich, und die Handschrift war fließend und schwer zu entziffern. Doch Francesca ließ sich Zeit. Sie las Wort für Wort, Zeile für Zeile und sog alles, was darin stand, in sich auf wie ein Schwamm.
    Am Ende legte sie die Blätter zur Seite und ließ ihren Tränen freien Lauf. Der Schmerz brach mit ganzer Gewalt über sie herein, er riss sie mit sich fort wie ein Fluss nach einem Unwetter, nichts konnte sie mehr festhalten, jeder Ast brach, trieb mit ihr durch die schäumenden Fluten. Die Wellen schlugen über ihr zusammen, sie tauchte hinein in ihre Trauer, fand nicht mehr hinauf in die rettende Luft, trieb irgendwo kopfüber, das Wasser drang in ihre Lungen, erstickte sie, und es war ihr egal, sie wollte sterben, doch auch im Sterben lag kein Trost. Das Weinen eines Kindes trieb sie wieder an die Oberfläche zurück, in ihre Küche, die zugleich Wohnzimmer war und der die untergehende Sonne einen schmerzlich roten Schimmer verlieh. Es roch verbrannt, und Sara, ihre Enkelin, schrie aus vollem Hals. Sie hob das verstörte Kind hoch, trocknete seine Tränen, drückte es an sich. Das kleine Gesicht war warm und feucht, und die klebrigen kleinen Hände fuhren ihr in die Haare. Sie atmete den Geruch des Babys tief in ihre Lungen und zog sich damit heraus aus dem Fluss ans rettende Ufer.
    Als Giuseppina kam, um Sara abzuholen, stand Francesca mit der Kleinen auf der Hüfte am Herd und rührte in dem Topf mit der angebrannten Soße. Sie lächelte, als sie ihre Tochter sah: »Bleibst du zum Essen, cara ?«
    Giuseppina schüttelte den Kopf und musterte ihre Mutter besorgt, während sie ihr das fröhlich krähende Baby abnahm. Ihre Mutter wirkte seltsam verändert. Sie hatte rot geäderte Augen, was verständlich war, immerhin hatte sie gerade erfahren, dass ihr ältester Sohn gestorben war. Aber ihre Augen hatten den müden, resignierten Ausdruck, den Giuseppina kannte, seit sie denken konnte, verloren, sie schienen irgendwie mehr Schärfe, mehr Kontur bekommen zu haben. Ihre Mutter schien in Gedanken meilenweit weg zu sein. Weg von ihr, von Torre Calo und allem, was ihr Leben ausmachte. Giuseppina bekam plötzlich Angst um ihre Mutter. Sie schien ihr so fremd. »Mama?«, fragte sie unbehaglich. »Es ist doch alles in Ordnung, oder?«
    Francesca sah ihre Tochter mit dem seltsamen neuen Ausdruck in ihren Augen an und antwortete: »Dein Bruder wurde getötet, cara , was soll da in Ordnung sein?«
    Giuseppina begriff nicht gleich, was sie da gehört hatte. »Wie, getötet, Mama?«
    Doch ihre Mutter antwortete nicht. Sie sah zum Fenster hinaus. Die untergehende Sonne schimmerte in ihren Augen.
    »Kennst du die Via
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