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Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Titel: Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
Autoren: Ilia Milstein , Dmitri Popov
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Jewgenia Timoschenko
Brief an die Mutter
    Heute sollte ich vor Gericht als deine Verteidigerin auftreten. Aber ich habe beschlossen, es nicht zu tun. Ich werde dem Gericht nichts sagen, weil ich weiß, wie sinnlos das ist. Heute, meine liebe Mutter, spreche ich nur zu dir …
    Es hat sich so ergeben, dass ich heute deine Verteidigerin bin. Dabei weiß ich, dass du gar keiner Verteidigung bedarfst.
    Früher, als ich ein Kind war, und auch später, bist du immer meine Verteidigerin gewesen. Und heute bin ich es für dich. Einerseits bin ich stolz darauf. Aber andererseits ist es für mich ungewohnt und schmerzlich.
    Ich weiß, dass du ein starker Mensch bist, sehr stark. Viel stärker wahrscheinlich als ich, Vater und Großmutter zusammengenommen. Aber für mich bist du in erster Linie nicht die Oppositionsführerin und eine große Politikerin (verzeih, wenn ich so spreche). Für mich bist du meine kleine, geliebte Mama. Und ich weiß wahrscheinlich besser als jeder andere, was diese Kraft, diese Ungebrochenheit, dieser Stolz dich kosten. Ich bin stolz auf dich, Mutter. Und wenn wir abends nach diesem Albtraum nach Hause kommen, dann weinen wir nicht, Mutter, ganz ehrlich. Wir bleiben standhaft und sind stolz auf dich.
    Vor allem jedoch weiß ich, dass du keine Schuld trägst. Und das nicht etwa, weil dasselbe wahrscheinlich alle Kinder der Welt über ihre Mutter sagen würden. Nein, all die Journalisten, die im Gericht sind, die Diplomaten und alle Menschen, die schon seit zwei Monaten in Zelten auf dem Kreschtschatik übernachten, sowie Millionen anderer Menschen in der Ukraine, die dieser Farce zuschauen, die sich als Gericht bezeichnet, wissen das auch.
    Ich verstehe nichts von Gasverträgen, ich kenne das Strafgesetzbuch nicht, aber dafür erinnere ich mich daran, wie du mich gelehrt hast, dieses Land zu lieben. Ich weiß, dass du es liebst. Ich weiß, dass du der Ukraine niemals und unter keinen Umständen etwas Böses zufügen würdest. Für mich ist das viel wichtiger als hunderttausend Gesetzesbücher, Argumente und Strafverfahren.
    Ich erinnere mich daran, wie du dich während der Orangenen Revolution gefreut hast, dass viele, viele Menschen zum ersten Mal in ihrem Leben Ukrainisch sprachen, dass eine Million erstmalig zusammen die ukrainische Hymne sang. Dir gilt der Dank für diesen Teil unserer Geschichte. Ich bin keine Politikerin und habe deswegen das Recht, so zu sprechen und es so zu sehen.
    Manchmal fragen mich Journalisten: Könnten Sie so sein wie Ihre Mutter Julia Timoschenko? Wahrscheinlich nicht, das könnte ich nicht. Julia Timoschenko ist einmalig, und selbst zu Hause sprechen wir in deiner Abwesenheit nicht von »Mutter«, sondern von »Julia«, so wie Millionen von Menschen in der Ukraine und in aller Welt. Meine Mutter ist zu einem Symbol des Kampfes geworden. Das hätte ich nicht gewollt, aber so ist es gekommen, und ich bin stolz darauf. Und auf dich.
    Wenn ich zu dir und Vater nach Hause komme, laufen mir alle deine Hunde entgegen, als wollten sie fragen: Wo ist sie? Und ich belüge sie und sage, sie kommt morgen.
    Bald wird sich das Gericht zur Beratung zurückziehen und sein Urteil fällen. Sieben Jahre sollen es sein, oder 70, oder 700. Ihnen ist das egal.
    Ich werde das Gericht nicht um Gnade bitten, weil ich weiß, dass du von denen keine Gnade brauchst. Ich werde nicht um Nachsicht bitten, weil ich weiß, dass du keine Nachsicht brauchst. Du bist im Recht. Ich werde nicht an ihr Gewissen und ihre Ehre appellieren, weil einigen im Saal diese Begriffe völlig fremd sind.
    Ich möchte nur, dass du eines weißt, Mutter: Was auch in diesem Saal geschehen wird, was auch geschieht in dieser Welt – die Wahrheit siegt trotzdem. Die Wahrheit und das Gute werden siegen, anders kann es nicht sein. Ich weiß, dass alles gut und gerecht zugehen muss, ich glaube daran.
    Wir stehen zu dir. Wir alle. Ich liebe dich! Bleib standhaft, meine liebe Mutter!*

    * Quelle: http//www.tymoshenko.ua/uk/article/oe3uva7z

Erstes Kapitel
Die drei Arreste der Julia Timoschenko
    Die Tür der Zelle Nr. 242 des Lukjaniwska-Gefängnisses schwingt auf, und sie geht hinein. Es ist dieselbe Zelle, in der sie vor zehneinhalb Jahren 42 Tage verbringen musste. Heute ist der Raum kaum wiederzuerkennen. Wo früher ein mit Metallplatten vernageltes Fenster war, ist inzwischen eine undurchsichtige Bauglasscheibe eingelassen. Den klassischen Kübel aus Sowjetzeiten ersetzt eine Sanitärzelle hinter einer kleinen Trennwand.
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