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Schatten der Liebe

Titel: Schatten der Liebe
Autoren: Judith McNaught
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    Dezember 1973
    Ihr aufgeschlagenes Sammelalbum neben sich, saß Meredith Bancroft auf ihrem Himmelbett und schnitt sorgfältig ein Bild aus der Chicago Tribune aus. Die Bildunterschrift lautete: Als Elfen verkleidet, beteiligten sich Kinder der Chicagoer Gesellschaft an einem Wohltätigkeits-Krippenspiel im Oakland Memorial Hospital. Dann folgten die Namen. Das große Photo zeigte die »Elfen« - fünf Jungen und fünf Mädchen, darunter Meredith -, die den kleinen Patienten auf der Kinderstation Geschenke überreichten. Links von der Gruppe, das Ganze überwachend, stand ein gutaussehender junger Mann von achtzehn Jahren, laut Bildunterschrift: Parker Reynolds III, Sohn von Mr. und Mrs. Parker Reynolds aus Kenilworth.
    Leidenschaftslos verglich Meredith ihr Abbild mit den anderen Mädchen im Elfenkostüm und fragte sich unwillkürlich, wie diese es fertigbrachten, langbeinig und grazil auszusehen, während sie schlichtweg ... pummelig wirkte. Sie schnitt eine schmerzverzerrte Grimasse: »Ich sehe aus wie ein Troll, nicht wie eine Elfe!«
    Es schien einfach nicht fair zu sein, daß die anderen Mädchen, die vierzehn waren, nur wenige Wochen älter als sie, so reizend anzusehen waren, während sie wie ein flachbrüstiger Zwerg mit Zahnspange wirkte. Ihr Blick fiel wieder auf das Bild, und sie bereute erneut den Anfall von Eitelkeit, der sie bewogen hatte, für das Photo die Brille abzunehmen; wenn sie ihre Brille nicht trug, schielte sie leicht, so wie auf diesem schrecklichen Bild. »Kontaktlinsen würden eindeutig helfen«, schloß sie. Ihr Blick fiel auf Parker, und ein wehmütig-verträumtes Lächeln huschte über ihr Gesicht, während sie den Zeitungsausschnitt an ihren Busen preßte - dorthin, wo ihr Busen wäre, wenn sie einen hätte, was nicht der Fall war. Noch nicht. Vielleicht aber auch nie.
    Die Zimmertür ging auf, und hastig riß sich Meredith das Photo vom Herzen, als die füllige sechzigjährige Haushälterin hereinkam, um das Essenstablett abzuholen. »Du hast deinen Nachtisch nicht gegessen«, schalt Mrs. Ellis.
    »Ich bin zu dick, Mrs. Ellis«, sagte Meredith. Zum Beweis kletterte sie aus dem antiken Bett und marschierte zu ihrer Frisierkommode, über der ein Spiegel hing. »Sehen Sie mich doch an«, sagte sie und deutete anklagend auf ihr Spiegelbild: »Ich habe nicht einmal eine Taille!«
    »Das ist nur ein bißchen Babyspeck, weiter nichts.«
    »Und ich habe auch keine Hüften. Ich habe eine Figur wie eine Schuhschachtel. Kein Wunder, daß mich niemand mag...«
    Mrs. Ellis, die noch nicht lange bei den Bancrofts arbeitete, blickte sie überrascht an. »Du hast keine Freunde? Warum nicht?«
    In dem dringenden Gefühl, sich jemandem anvertrauen zu müssen, sagte Meredith: »Ich habe nur so getan, als ob in der Schule alles in Ordnung wäre. In Wahrheit ist es furchtbar. Ich bin ein ... totaler Außenseiter.«
    »Das kann ich mir nicht vorstellen. Irgendwas stimmt mit den Kindern an deiner Schule nicht...«
    »Es liegt nicht an ihnen, es liegt an mir, aber ich werde das ändern«, verkündete Meredith. »Ich habe mit einer Diät angefangen, und ich werde mir eine andere Frisur machen. Mein Haar ist schrecklich.«
    »Es ist nicht schrecklich!« betonte Mrs. Ellis und sah Merediths schulterlanges hellblondes Haar und dann ihre türkisblauen Augen an. »Du hast wunderschöne Augen und auch sehr schöne Haare. Schön und fest und ...«
    »Farblos.«
    »Blond.«
    Meredith starrte unwillig in den Spiegel. In ihren Augen nahmen die Makel, die sie nun einmal hatte, ungeheure Ausmaße an. »Ich bin über eins siebzig groß. Bloß gut, daß ich gerade noch rechtzeitig zu wachsen aufgehört habe, bevor ich ein richtiger Riese geworden bin. Aber es besteht noch Hoffnung. Das habe ich am Samstag gemerkt.«
    Mrs. Ellis runzelte verwundert die Stirn. »Was ist denn am Samstag passiert, das deine Meinung so geändert hat?«
    »Nichts Weltbewegendes«, sagte Meredith. Etwas wirklich Weltbewegendes, dachte sie. Parker hat mich bei dem Krippenspiel angelächelt. Er brachte mir eine Cola, ohne daß ihn jemand dazu aufgefordert hatte. Er sagte, ich solle ihm für den Eppingham-Ball am Samstag einen Tanz reservieren. Vor fünfundsiebzig Jahren hatte Parkers Familie die große Chicagoer Bank gegründet, bei der Bancroft & Company das gesamte Firmenkapitel deponiert hatte, und die Freundschaft zwischen den Bancrofts und den Reynolds bestand schon seit mehreren Generationen. »Alles wird sich ändern, nicht nur mein
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