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Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Titel: Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
Autoren: Ilia Milstein , Dmitri Popov
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Zwei Betten, ein Tisch, ein Kühlschrank, ein Wasserkocher. Gut zehn Jahre zuvor hatte sie, entsetzt über den Gestank und Dreck, ihren Rechtsanwalt gebeten, ihr eine Fußmatte und Gummihandschuhe mitzubringen. Nun blitzt alles in kasernenhafter Sauberkeit.
    Die kleine Frau auf Stöckelschuhen und in einer durchgeschwitzten Bluse, die am Morgen noch blendend weiß gewesen ist, lässt sich auf dem Bett nieder. In der Zweierzelle ist sie zunächst allein. Ihren berühmten Zopf musste sie öffnen – Haarnadeln sind im Untersuchungsgefängnis nicht erlaubt. Ihre gepackte Tasche, die sie vorausschauend zu jeder Gerichtsverhandlung mitgenommen hatte, musste sie ihrem Anwalt überlassen. Er wird sie ihr am Abend oder spätestens am nächsten Tag bringen.
    Zehneinhalb Jahre zuvor war Julia Timoschenko ebenfalls auf eine Haft gefasst gewesen. Und in der Tasche, die sie nicht aus der Hand gegeben hatte, befand sich ungefähr das Gleiche wie jetzt. Seife, ein Handtuch, Wäsche, ein Trainingsanzug, Turnschuhe, Socken, Hygieneartikel, Tütensuppen, Plastikgeschirr, Zahnpasta, Hautcreme. Hinzugekommen sind allenfalls Medikamente. Außerdem wurde sie 2001 im Monat Februar inhaftiert, da brauchte sie warme Sachen, und nun, im heißen August des Jahres 2011, benötigt sie eher leichte Kleidung.
    Warum dieselbe Zelle? Ist das der schwarze Humor der Gefängniswärter? Oder der Sonderstatus eines VIP-Kerkers, den sie ihrer ersten Haftzeit verdankt? Am wahrscheinlichsten ist es eine Geste von Präsident Janukowitsch gegenüber dem Westen: Schaut mal, wie viel humaner als Kutschma ich bin, wie viel näher ich Europa stehe. Dieselbe Zelle, aber nicht wiederzuerkennen.
    Gut zehn Jahre zuvor hatten die Gefängniswärter an Timoschenko einen alten Trick aus dem Arsenal des sowjetischen KGB angewandt: Die Tür wurde zugeknallt, und in der Zelle ging das Licht aus. »Man möchte sofort mit den Fäusten gegen die Tür hämmern und schreien, sie sollen das Licht wieder anmachen«, bekannte sie nach ihrer Freilassung. Die Dunkelheit bricht den Willen eines Neulings, bereits beim ersten Verhör wird der Häftling nervös und sagt bereitwillig alles Mögliche über sich und andere aus. Damals hatte sie jedoch nicht den Kopf verloren. Schweigend hatte sie ihre Tasche auf den Fußboden gestellt und sich daraufgesetzt. Später war das Licht wieder angeschaltet worden.
Es ist ihre dritte Haftstrafe, und jedes Mal war es ein Schock für sie. Noch eine Minute zuvor war sie frei, reich, glücklich – und schon fällt hinter ihr krachend die Tür ins Schloss, und sie ist keine Gasprinzessin mehr, keine Abgeordnete, keine Ministerpräsidentin, sondern eine einfache Insassin eines postsowjetischen Gefängnisses. Opfer des Regimes, der Umstände, des eigenen maßlosen Ehrgeizes, einer hemmungslosen Herrschsucht, einer verzweifelten Kühnheit, einer pathologischen Gier – Zutreffendes bitte unterstreichen.
    »Sofort überrollt einen das Grauen. Sobald sie einem den Haftbeschluss verlesen, man in ein Auto steigen muss, von großen Männern der OMON-Sondereinheit umgeben ist, die einen eisig anschauen … Wenn sie die Fingerabdrücke nehmen wollen und einem die Finger mit Farbe beschmieren …« – auch diese Zeilen stammen aus den Erinnerungen von vor zehn Jahren.
    Diesmal braucht es gleich mehrere Hundert »großer Männer der OMON-Sondereinheit«, um sie abzuführen. Als nach der einstündigen Sitzung Richter Kirejew seinen Beschluss verliest: »In Hinsicht auf die Systemverstöße, die Behinderungen bei der Wahrheitsfindung und die Ordnungswidrigkeiten im Verhandlungsverlauf hat das Gericht beschlossen, die Unterbindungsmaßnahme des Gewahrsams anzuwenden«, springen ihre Anhänger, die unter den Prozessbeobachtern in der Mehrheit sind, von ihren Plätzen auf und skandierten: »Schande!«, woraufhin der Saal von ungefähr 30 Milizionären gestürmt wird. Timoschenko bittet darum, man möge ihr keine Handschellen anlegen, und wendet sich an die Menschen im Saal: »Alles Gute, meine Lieben!« Sie verlässt in Begleitung einer Wachmannschaft den Saal, in dem eine regelrechte Prügelei losbricht. Abgeordnete versuchen, in das Zimmer der Wachmannschaft einzudringen, zu dem Angehörige der Sondereinheit »Berkut« den Zugang versperren. Sie stürmen auch auf die Straße, zu dem Gefangenentransporter, der Timoschenko ins Untersuchungsgefängnis bringen soll – aber auch die Treppe ist gesperrt. Julia Timoschenko wird auf den Hof geführt. Zuvor hat
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